Shabu Shabu im Schneesturm: Diese magische Nacht in Niseko

Niseko ist das Ski-Mekka Japans. Schneesicher, mondän, modern und teuer. Wer rund um die Talstation von Grand Hirafu wohnen will, kann sich mit Glück ein Bett für 500 Euro pro Nacht sichern. Oder aber man wohnt bei Yoshi, etwa drei Kilometer außerhalb des Skitrubels. Irgendwo im Nirgendwo, an einem einsamen Bahnhof im Schnee. Das Hirafu Station Guesthouse zu buchen, erforderte etwas Mut. Belohnt wurde ich mit einem überraschend traumhaften Aufenthalt und einem denkwürdigen Abend inklusive Shabu Shabu im Schneesturm.

Nach Niseko kommt man nicht durch Zufall. Für Wintersportler weltweit steht dieser Ort für die ganz große Sehnsucht nach dem perfekten Powder. Neuschnee – fast täglich – und perfekter Tiefschnee: Das garantieren die Skigebiete rund um Niseko. Und weil Japan nicht gerade mit Skigebieten gesegnet ist, explodiert der kleine Ort Winter für Winter ein wenig mehr – und mit ihm auch die Hotelpreise.

Wäre das Hirafu Station Guesthouse nicht als günstigstes Angebot in meiner Booking.com Suche aufgeploppt – ich hätte den Trip nach Niseko garantiert verworfen. Er hätte mich finanziell ruiniert. Die kleine Unterkunft mit den hervorragenden Bewertungen erschien mir auf den ersten Blick suspekt. Schlafsaal, Geschlechtertrennung, irgendwo an einem Provinz-Bahnhof. 40 Euro pro Nacht. Ich buchte trotzdem und schrieb dem Besitzer eine Mail. „Wie kommen wir vom Bahnhof am besten zum Guesthouse?“ fragte ich ihn. Seine Antwort. „Ganz einfach: Das Bahnhofsgebäude ist das Guesthouse.“ Die Antwort ließ meine Hoffnung auf einen gemütlichen Aufenthalt nicht gerade ins Unermessliche steigen. Dennoch siegte der Wille. Ich wollte die Pisten von Niseko unbedingt erlebt haben. Wer weiß, wann ich wieder nach Japan komme.

Zwei Stunden braucht die Hakodate-Line aus Sapporo, bis sich der Bummelzug über verschneite Gleise nach Hirafu gekämpft hat. Es ist bereits stockdunkel, als wir gegen 19 Uhr mit unseren Koffern aus dem Zug rumpeln. Der Bahnsteig ist menschenleer, der Schnee unberührt. Es ist ein verrückter Moment: Wir stehen am Gleis, hinter uns schließen die Türen des Zuges und wir blicken direkt hinein in den Gastraum unserer Unterkunft. Dort dampft es. Eine Gruppe Japaner hat sich um einen großen Topf Brühe versammelt. Genau fünf Schritte benötigen wir, um vom Zug zur Tür zu gelangen. Yoshi, unser Gastgeber, erwartet uns bereits. „Hey, you Mister David?“ Es duftet nach Holzofen, Dashi-Brühe und ich werfe alle Sorgen über Bord.

Niseko verwöhnt uns am Tag darauf mit einem Skitag der Extraklasse. 15 Zentimeter Neuschnee und eine atemberaubende Szenerie aus gefrorenen Baumskeletten und einem Sonne-Wolken-Mix, der HDR-Fotografen glücklich macht. Links von uns erhebt sich der Mt.Yotei – ein inaktiver Vulkan. Der Blick reicht weit in die Ferne, hinein in die schneebedeckte Ebene. Keine Nadelbäume, dafür Birken und andere Laubbäume, die in kleinen Waldgruppen die Piste säumen. Es ist allein optisch ein völlig neues Erlebnis, während unsere Bretter durch unangetasteten Schnee rascheln.

Abends kehren wir zurück in unsere kleine Holzhütte, vollgepackt mit den Zutaten für Shabu Shabu. Das haben wir uns von der Gruppe am Vorabend abgeschaut. Heute sind wir dran: Zwei Deutsche, ein Japaner, ein Brite und ein Australier. Takeshi, der sich untertags die Schulter ausgekugelt hat, blüht nun als Shabu Shabu Experte wieder auf. Wir bereiten eine Dashi-Brühe vor und präparieren Gemüse, Pilze und Fleisch. Draußen zieht der nächste Schneesturm auf, der den Powder für den Folgetag auf die Piste wirft. Drinnen ist es mollig warm, weil Yoshi alle zwei Stunden neues Holz nachlegt und das Feuer im kleinen Ofen zu Höchstleistungen treibt.

Shabu Shabu ist puristisches japanisches Fondue. In einer Dashi-Brühe garen wir hauchdünne Fleischscheiben, Gemüse und Pilze nach einer ausgeklügelten Reihenfolge, die Takeshi vorgibt. Zunächst eine Runde Fleisch, um die Brühe weiter zu aromatisieren. Dann die Pilze, da sie ein wenig Zeit benötigen, um gar zu ziehen und schließlich jede Menge Kohl, Frühlingszwiebeln und immer wieder eine Handvoll Spinat. Als Dip wird Ponzu-Sauce gereicht – eine Mischung aus Sojasauce, Sake, Mirin und Yuzu-Saft.

Unser Shabu Shab zieht sich über Stunden und mit jeder Minute wird der Sud aromatischer und die Runde geselliger. Überhaupt ist dieses Fondue das perfekte Essen für eine Gruppe einzelner Reisender, die sich gerade kennenlernen. Allister aus Manchester hat Wein mitgebracht, Pete aus Australien Whisky und Sapporo-Bier steht ohnehin immer bereit. Die Blicke werden glasiger und draußen schaufelt sich der Zug nach Otaru den Weg durch den Sturm. Wir essen alle aus dem selben Topf und sind Freunde für eine Nacht, gefangen und zufrieden in einem Bahnhofsgebäude mitten im Schnee. Diese Stunden sind magisch und machen mir mal wieder bewusst, warum es sich lohnt, ausgetretene Reisepfade immer wieder bewusst zu verlassen.

Die Nacht ist gespickt von verrückten Geschichten. Allister, der im Irak für eine Ölfirma forscht, erzählt davon, wie er bei 45 Grad eingeschlossen auf einer Toilette sein Leben schon zu Ende gehen sah. Pete gibt uns eine Einführung in Australiens effizienteste Betäubungsmittel und erzählt von seiner Zeit als Lehrer in Österreich. Takeshi lauscht fasziniert und eventuell auch ein wenig geschockt, während ich einfach zuhöre und die Zeit vergesse. Ich ziehe ein Stück hauchdünnes Schweinefleisch durch die Ponzusauce vor mir und balle innerlich die Faust. Welch ein Glück, dass ich mich Wochen zuvor nicht von der seltsamen Beschreibung auf Booking.com habe abschrecken lassen. Es ist einer jener Momente, die noch Jahre nachhallen werden.

Was uns alle vereint, die Invaliden am Tisch versöhnt, Nationen verbindet, ist der schwere Holztisch, um den wir sitzen, der Schneesturm vor dem Fenster, ein riesiger Topf Brühe und die Gewissheit, dass am nächsten Morgen alle wieder getrennte Wege gehen. Viel intensiver kann man nicht reisen.

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