Oktober und November in den Alpen – das ist eine schwierige Zeit“ sagt die Kellnerin am Nachbartisch. „Fürs Wandern oft zu kalt. Fürs Schneeschuhwandern zu warm. Unten matschig und nass. Oben matschig und glatt.“
Wir sitzen im Naturhotel Leitlhof und schauen in die Nebelwand, die sich vor den Haunold gezogen hat, den Hausberg von Innichen im Pustertal. Ich verstehe ihren Punkt. Und doch finde ich diese Jahreszeit gar nicht so schwierig. Wir kommen bewusst immer wieder in dieser Übergangsphase der Jahreszeiten nach Südtirol. Sie hat ihre Reize. Es kommt dann nur entscheidend darauf an, den richtigen Rückzugsort zu wählen.
Der Leitlhof schien mir sinnig, für eine kleine Reise im Oktober. Als mich die Einladung erreichte, genügte ein Blick auf die Website, um zu erkennen: Das könnte so eine Insel der Sicherheit sein, im unsicheren Wettergefüge des Südtiroler Herbstes. Ein familiengeführtes Naturhotel. Viel Holz, viel Wellness, mit spürbar hohem kulinarischem Anspruch. Darauf kann man sich einlassen, ohne schon Wochen vorher angstvoll den Wetterbericht zu verfolgen. Wenn das Haus genug zu bieten hat, verschafft das genau diese wetterunabhängige Vorfreude, die es im Herbst braucht. Also los!
Ankommen im Leitlhof
Es kommt, wie es kommen darf: Der Winter hält Einzug im Pustertal, zeitglich mit uns. Statt den Tag zu nutzen, um die Dolomiten wandernd zu erkunden, checken wir um 12 Uhr ein und machen es uns noch zwei Stunden in der Lobby gemütlich. Obwohl der Leitlhof ausgebucht ist, wirkt es, als habe die Nebensaison ihre Wirkung entfaltet. „Es verläuft sich dort, durch die große Fläche,“ hatte uns schon eine ehemalige Mitarbeiterin angekündigt, die wir zufällig Tage vorher im Atelier Moessmer trafen. Für uns sind diese Übergangsmomente immer ein guter Anlass, kurz in den Workation Modus zu schalten. Als selbstständige, orstunabhängig arbeitende Menschen, genießen wir es sehr, an schönen Orten mit Muse zu denken, zu schreiben und zu organisieren. Und so ist der Start in unseren Leitlhof-Aufenthalt ein arbeitender. Aber einer von der besonders schönen Sorte. Mit Hafermilch-Cappucino auf dem Tisch, Laptop auf dem Schoß und dem Blick über Innichen vor der großen Glasfront.
Naturhotel – aus jeder Faser
Und dann checken wir ein. Wenn ich ein Hotelzimmer betrete, kann ich innerhalb von Sekundenbruchteilen sagen, ob ich mich wohlfühle. Es hat wenig mit dem Platzangebot, dem Fernseher oder dem Ausblick zu tun. Es geht mir um Materialien, Geruch und Licht. In unserem neu renovierten Zimmer ist das Leitmotiv Holz. Zirbenduft weht uns entgegen, als wir die Tür öffnen. Der Boden aus geräuchertem Holz, die Wände aus leuchtendem Nadelholz (vermutlich Zirbe). Dazu ein Daybed, überzogen von grob gewebtem Stoff. Grün, beige, holz – das ist das Farbstpektrum. Warme Materialien, natürliche Atmosphäre. Das Licht flutet aus der großen Fensterfront ins Zimmer und zieht einen weichen Lichtverlauf übers Bett bis zum Eingang. Sicher kein Zufall, dass sich das Farbspiel drinnen mit der Natur vor dem Fenster fast nahtlos verbindet. Wir fühlen uns wohl.
Das Prädikat „Naturhotel“ zieht allerdings weit über das Architektonische eine gewisse Erwartungshaltung auf sich. Und beim Thema Kulinarik schaue ich traditionell besonders genau hin. Gerade bei einem Hotelbetrieb, der durch die schiere Masse an Gäste ein ausgeklügeltes System entwickeln muss, bin ich gespannt auf das kulinarische Niveau. Und natürlich darauf, wie die Natur und die Region in die Gestaltung des Menüs einfließen.
Fleisch vom eigenen Bauernhof
Im Leitlhof ist eine der Antworten darauf ganz simpel: Das Fleisch stammt unter anderem von den Tieren des familieneigenen Bauernhofs. Die Anguszucht im Mühlhof ist einzig auf die Verwertung durch den Leitlhof und den Partnerbetrieb Atto Suites im Ort ausgelegt. Rinderzucht, um die eigene Fleischversorgung sicherzustellen und vor allem transparent zu gestalten: Eine beachtliche Initiative, mit der das Hotel einen Teil der Fleischversorgung deckt. Die gesamte Halbpension lässt sich daraus allerdings nicht stemmen. „Wir machen viele Räucherwaren, Ragouts und Gulasch. Die Edelteile reichen leider nicht aus,“ erklärt mir Küchenchef Markus Auer.
Die Geschmacksprobe folgt prompt am ersten Abend. „Rindertagliata mit Grillgemüse“ steht als Hauptgang auf dem Programm – mit dem Verweis auf die eigene Produktion. Ich bin gespannt. Die Fleischsstruktur verrät, dass es sich um ein Stück Flanksteak handelt. Der Service bestätigt das. Und obwohl sich Flanksteaks von europäischen Rindern sehr oft an der Grenze zur Kaubarkeit bewegen, ist das, was ich hier erlebe, das exakte Gegenteil. Ein wahnsinnig zartes und intensives Stück Fleisch – perfekt gegart und gegen die Faser tranchiert. Mir imponiert das, weil idealistische Ansätze der Fleischerzeugung- und Verwertung nicht immer mit einem genussvollen Erlebnis einhergehen. Sofern ich das anhand dieses Ganges beurteilen kann, greift hier beides ineinander. Ich frage sicherheitshalber nochmal nach, denn die Zartheit des Steaks erscheint mit fast schon surreal. Meine etwas ungläubige Rückfrage beantwortet mit Marion Burgmann von der Pressestelle:
„Die Tiere wachsen langsam und ohne große Zufütterung vom Kraftfutter. Zudem haben sie viel Auslauf und sind im Sommer auf der Alm. Durch das Dry-Age-Verfahren wird das Fleisch nochmals zarter.„
Halbpension mit Niveau
Wir essen zwei Mal das Menü aus der klassischen Halpension. Und ich bin erstaunt von der Rafinesse und der Qualität, die trotz der Menge an Gästen konstant gehalten wird. Kaninchenravioli, pochierter Steinbutt, Topinambursuppe mit Vanilleschaum, Lammrücken, Carpaccio vom eigenen Rind, herausragende Schlutzkrapfen – die Halbension hat gehobenes Niveau. Herauszuheben sind die Desserts, die allesamt technisch und geschmacklich hervorragend zubereitet waren.
Parallel zur klassischen Halbpension besteht im Leitlhof die Möglichkeit, beim Frühstück ein Steak für zwei vorzubestellen – für den Abend. Ein besonderer Genuss – und die 84 Euro Aufpreis (zu zweit) wert! Die Steaks werden im eigenen Dry Ager für vier bis neun Wochen trocken gereift. Apropos Frühstück: Auch das hat einen schönen regionalen Einschlag, mit Marmeldaden aus der Gegend, Säften von einheimischen Erzeugern und einer breiten Palette an Frühstücksoptionen, die wir mit Blick in die Berge genießen. An Tag drei lichtet sich auch endlich der Nebel und wir sehen die schroffen Gipfel, die schon immer da waren, zum ersten Mal. Unten vor dem Eingang sammelt Bergführer Rudi gerade seine Truppe zur Tageswanderung ein. Die gibt’s jeden Tag hier im Leitlhof. Leider verpassen wir die Sonnenaufgangstour zu den Drei Zinnen, die uns im Vorfeld von Freunden dringend empfohlen wurde. Sie muss gigantisch schön sein, findet aber nur bei guter Witterung statt.
Wellness im Leitlhof
Wir kosten stattdessen drei Tage lang das gesamte Spa-ktrum an Wellnessmöglichkeiten aus. Onsenpool, Eisbecken, Biosauna, Ruheraum, Zirbensauna, Panoramaterrasse, Salz-Peeling und wieder von vorne. Durch die vielen Spa-Optionen sind drei Tage genau richtig, um den Wellbeing-Kompass mal wieder richtig einzunorden. Und das tun wir, mit großem Genuss. In einem ausgelegten Magazin lese ich zufällig, wie auch in Sachen Energiegewinnung in Kreisläufen gedacht wird, mit dem Ziel, energie-autark zu wirtschaften. Beurteilen kann ich es nicht, aber es passt zum Gesamtbild, das sich uns in diesen drei Tagen bietet.
Ein Ort für kleine Alltagsfluchen
Der Leitlhof wandert nach diesem Besuch auf unsere Liste der kleinen Alltagsfluchtorte. Und owohl wir es regelrecht genossen haben, nicht von der Bergsonne nach draußen gelockt worden zu sein, würde ich gerne noch einmal wiederkommen. Allein, um mit Bergführer Rudi morgens um 5:05 Uhr Richtung Auronzohütte aufzubrechen und die ikonischen Drei Zinnen zum umrunden. Um dann im Anschluss gemütlich zu frühstücken und das Leitlhof-Gefühl auch einmal bei Sonne aufzusaugen.
Dieser Beitrag entstand auf Einladung des Hotels. Meine Meinung bleibt davon unberührt.