Suspended Coffee: Mit einem Kaffee die Welt verbessern?

Es ist auf dem Zettel eine bezaubernde Idee: Man trinkt einen Kaffee und bezahlt gleich zwei. Der zweite wird notiert und aufgeschoben (engl: suspended). Bedürftige Menschen können sich beim Personal des Cafés melden und diesen bereits bezahlten Kaffee entsprechend kostenlos abholen. So funktioniert das Prinzip des „Suspended Coffees“ (Gibt es mittlerweile übrigens auch mit anderen Getränken und Mahlzeiten). Die Idee entstand in Italien, verbreitete sich in den USA und fasst nun ganz langsam auch in Deutschland Fuß. Skeptiker sehen darin den X-ten Versuch, eine breite Masse an Kleinstspendern zu mobilisieren. Idealisten erkennen einen wichtigen Schritt, die Kluft zwischen zwei Gesellschaftspolen zu schließen. Ich sehe eine schöne Idee, die vor allem auf den zweiten Blick ihre Pracht entfaltet, jedoch noch viel Zeit benötigt.

Der Suspended Coffee scheint auf den ersten Blick vor allem eine liebenswürdige Geste an all jene Menschen zu sein, denen es schlechter geht als uns. Ein Kaffee der wärmt, ein Getränk das Durst löscht. Doch es ist mehr als die reine Befriedigung eines Grundbedürfnisses. Man verschenkt das unbezahlbare Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein, zumindest für eine kleine Weile. Eintritt in eine Welt, die sich für diese Menschen manchmal (zumindest glaube ich das) unerreichbar anfühlen muss. Wenn sich ein Obdachloser auf eine Caféterasse setzt, wenn er ausnahmsweise die flanierenden Menschen beobachten, ihren Blicken für eine Weile entfliehen kann – dann ist das viel mehr als nur ein geschenktes Getränk. Vielleicht können solche Momente neuen Lebensmut entfachen.

Doch es gibt genug Aspekte, die den Siegeszug dieser Idee noch bremsen. Auf der einen Seite die Spender. Manche werden sich fragen: Warum soll ich für jemanden spenden, den ich gar nicht kenne, dessen Gesicht ich nie sehe. Es fehlt, was beim Spenden meistens fehlt: Die Genugtuung, die eintritt, wenn man sieht, was die eigene gute Tat bewirkt. Man wird nie wissen, wen man mit seinem Suspended Coffee glücklich gemacht hat. Ob er dabei gelacht hat, ob er sich damit in die Sonne gesetzt hat, ihn in vollen Zügen genossen hat. Das wird viele davon abhalten mitzumachen. Leider werden sich all jene Menschen vermutlich auch nicht dazu durchringen, einen Obdachlosen anzusprechen, um ihm einen Kaffee persönlich vorbeizubringen.

Auf der anderen Seite die Café-Besitzer: Natürlich tun sich da viele schwer, ihre Klientel mit der Anwesenheit von Menschen zu „stören“, die möglicherweise nicht ins gewünschte Bild der Lokalität passen. Doch es gibt mittlerweile genügend Cafés, deren Philosophie sich mit dem Suspended Coffee gewiss wunderbar vereinbaren lässt. Gerade in alternativen Kreisen könnte dieses Angebot sogar image-pflegend und geschäftsbelebend wirken. Die Krux: Es ist ein Samen, der im Internet gesäht wird, dort wächst – sprich geteilt – und als Idee gefeiert wird. Große Online-Medien und Blogs berichten, die Kommentare voller Lob und Rührseligkeit. Leider findet das (noch) abseits der Lebenswelt jener Menschen statt, an die sich die Aktion richtet. Das ist keine Mutmaßung, sondern geht aus Berichten von Café-Besitzern hervor, die mitmachen, jedoch noch immer auf den ersten Abnehmer warten.

Saskia Rüdiger, Initiatorin der deutschen Suspended Coffee Bewegung, hat sich zum Ziel gesetzt, diese Kluft zu überwinden und ihre Idee in Kreisen Bedürftiger bekannter zu machen. Bleibt abzuwarten, ob der Zauber des Suspended Coffee so erhalten bleiben kann. Sobald sich die ersten Schlangen von Mittellosen vor Cafés bilden, dürfte das Konzept (leider!) in sich zusammenbrechen. Doch ich will diese grundgute Idee nicht kaputtreden. Es kann meiner Meinung nach gelingen, den Suspended Coffee in unserer Gesellschaft zu etablieren. Voraussetzung: die Zahl der Anbieter und Abnehmer muss sich in Zukunft die Waage halten.

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