Kobe & Wagyu: Das missverstandene Fleisch

„Kobe-Beef – das beste Fleisch der Welt“ stand einige Zeit als Headline in diesem Blog. Nicht, weil ich diese Aussage selbst so treffen würde, sondern weil sich dieses Bild durch unzählige Medienberichte so etabliert hat. Damals hatte ich diese Formulierung als Aufhänger verwendet, um meinen Erfahrungsbericht aus Japan einzuleiten. Mittlerweile habe ich ein dickes Fragezeichen dahinter gesetzt. Ich habe in Kobe selbst Kobe-Beef gegessen und mittlerweile für mich erkannt, dass diese Aussage so nicht haltbar ist. Kobe & Wagyu in ihrer maximal marmorierten Form sind für mich nicht das beste Fleisch der Welt – vielmehr das am stärksten missverstandene Fleisch überhaupt.

Inhaltsverzeichnis

Wagyu-Rind auf dem Hof von Ludwig Maurer

Was ist der Unterschied zwischen Wagyu und Kobe-Beef?

Wagyu ist japanisch und bedeutet übersetzt „japanisches Fleisch,“ denn diese indigene Rinderrasse hat ihren Ursprung in Japan, dort nennt man sie auch Tajima-Rinder (übersetzt: Schwarzvieh). Kobe ist nichts anderes als Wagyu mit geschützter Herkunftsbezeichnung. Einzig und allein reinrassige Tajima-Rinder aus der japanischen Präfektur Hyogo mit dem Verwaltungssitz Kobe dürfen diese Bezeichnung tragen. Sie erreichen unter all den Wagyu-Rindern weltweit (es gibt mittlerweile auch deutsche Züchtungen) den wohl extremsten Marmorierungsgrad im Fleisch, durch genetisch bedingte Fetteinlagerungen im Muskelgewebe. Ähnliche Marmorierungsgrade weisen auch Rinder aus den Regionen Miyazaki, Ohmi und Kagoshima auf, allerdings sind diese Labels hierzulande weniger bekannt als das „Kobe-Beef“. Sie werden als stark marmoriertes japanisches Fleisch unter der Sammelbezeichnung „Kuroge Beef“ zusammengefasst. Die unzähligen weißen Äderchen, die das Fleisch mehr rosa als rot erscheinen lassen, sind der feuchte Traum (fast) jeden Fleischfans. Einmal im Leben ein Kobe-Steak essen, ein Posten für die kulinarische Bucketlist. So war das auch bei mir, doch auch ich habe Kobe-Beef lange Zeit falsch verstanden.

Was erwartet man, wenn man vom „besten Fleisch der Welt spricht?“. Welche Qualitätsmerkmale hat gutes Fleisch? In meinem Universum steht an erster Stelle der Geschmack, dann die Konsistenz. Mit diesem Maßstab sind wohl die meisten Fleischliebhaber einverstanden, wenngleich die Textur gerade bei Neulingen in der Gourmetfleisch-Welt meist den größten Aha-Effekt erzielt. Für Freunde kräftigen Fleischgeschmacks kommt nun jedoch die Enttäuschung: Nach diesem Maßstab ist Kobe & Wagyu nicht das beste Fleisch der Welt. Und ein ganzes Kobe-Steak würde ich selbst meinem besten Freund nicht zumuten wollen. Hochmarmoriertes Kobe-Beef besteht in erster Linie aus Fett – und das verändert alles.

Wagyu-Beef in einer Metzgerei in Kyoto
Wagyu-Beef in einer Metzgerei in Kyoto

Mehr Fett ist nicht gleich mehr Geschmack

Geschmack entsteht primär durch zwei Komponenten: Man benötigt einen Geschmacksgeber und einen Geschmacksträger bzw.- verstärker. Beim Fleisch ist das sogenannte „Blutfleisch“, also der Muskel-Anteil des Steaks der Aromaspender. Dort bilden sich speziell bei der Trockenreifung Glutaminsäuren und dadurch intensive und komplexe Geschmacksnuancen. Das Fett ist der Geschmacksverstärker. Das ist der Grund, warum ein ultra-mageres Jungbullen-Hüftsteak nach ziemlich wenig, aber ein Entrecote von einer alten Kuh nach ziemlich viel schmeckt. Es braucht viel charakterstarkes Blutfleisch, ausreichend Fett und am besten Trockenreifung, um einen aussagekräftigen Geschmack zu erzeugen. Ausreichend Fett bedeutet 10-15%.

Kobe-Beef

Die Gleichung „mehr Fett = mehr Geschmack“ trifft bis zu einem bestimmten Punkt zu. Das ist der Grund, warum Steak-Kenner ihr Fleisch nach dem Grad der Marmorierung auswählen. In deutschen Metzgereien geht diese Strategie in der Regel auf, da man hier nur seltenst extrem marmoriertes Wagyu und schon gar kein Kobe-Beef findet. Doch es gibt einen Bereich, in dem diese Rechnung aus der Balance gerät und bei Kobe-Beef ist das Verhältnis Blutfleisch zu Fett aus dem Gleichgewicht geraten. Denn: Fett selbst hat nur einen sehr dezenten Eigengeschmack und wirkt nahezu ausschließlich geschmacksverstärkend (abgesehen von oxidativen Noten bei der Trockenreifung). Wenn der Anteil an Blutfleisch allerdings so gering ist, dass es kaum Geschmack gibt, den das Fett verstärken kann, dann nutzt einem das beste Fett nichts – und genau dieses Problem haben wir bei Kobe-Beef.

Kobe – ist das wirklich artgerecht?

Dazu kommt ein großes Problem: Marmorierungen von A10 und mehr – wie sie ausschließlich in Japan erzielt werden, sind nicht mehr allein auf gute Genetik zurückzuführen. Viele Betriebe dort haben ihre Produktion komplett auf die Ausprägung von Fett im Fleisch ausgelegt. Das bedeutet: Möglichst wenig Bewegung und Licht für die Tiere – dazu möglichst viele Kohlenhydrate. Dass diese Art der Fleischproduktion nicht tierwohlgerecht sein kann, erkennt man auch ohen Abschluss auf der Landwirtschaftsschule. Es mag auch in Japan positive Ausnahmen geben, doch das Gros des importierten Wagyu-Fleischs hatte keine angenehme Vorgeschichte. Da japanische Mastanlagen ihre Pforten konsequent vor westlichen Augen geschlossen halten, basieren diese Informationen auf Aussagen von Experten aus der Wagyu-Szene, mit denen ich in den vergangenen Jahren gesprochen habe. Ein wenig logischer Menschenverstand sollte aber ausreichen, um beim Anblick von Kobe-Beef zumindest mal kritisch zu hinterfragen, wie sowas entstehen kann.

Deutsches Wagyu – der andere Weg

Auch in Deutschland wird seit einigen Jahren Wagyu-Rind gezüchtet – dabei liegt der Fokus – zum Glück – auf einer sehr tierwohlgerechten Aufzucht mit dem Ziel einer moderateren Marmorierung. Der Grund: Vielen Landwirten ist bewusst, dass eine Extrem-Marmorierung nur durch wenig Bewegung und extreme Mast entstehen kann. Die genetische Veranlagung zur Fetteinlagerung ist bei der Rasse immer da – die Frage ist, wie sehr man diese Neigung auch „ausnutzt“. Und hier gibt es meiner Meinung nach ethische Grenzen. Die beginnen dort, wo die Lebensqualität des Tiers zu Gunsten von mehr Fett eingeschränkt wird. Ein Vorreiter dieser Bewegung ist Franz Kirchner von Westerberger Wagyu, der in Bayern Wagyu-Beef erzeugt. das für mich zum Besten gehört, was der Fleisch-Weltmarkt zu bieten hat. Ihm gelingt es, durch genetische Selektion und ein hohes Alter der Tiere, stake Marmorierungen zu erzielen, die jedoch nicht auf dem Rücken der Tiere ausgetragen werden. Die Marmorierungsgrade bleiben dabei in einem Rahmen, der auch Steak-Genuss zulässt. Und das Fleisch hat einen intensiven Eigengeschmack durch einen hohen Anteil an Rauhfutter (Gras und Heu).

50% Fett und mehr – der Charakter fehlt

Zurück zum Kobe-Beef: Fragwürdige Haltung und zu viel Fett – das klingt erstmal nicht allzu positiv. Warum dann der Hype um Kobe-Beef? Der gigantisch hohe Fett-Anteil von weit über 50% bei Rindern der höchsten Marmorierungs-Stufe 12 führt zu einem völlig neuartigen Mundgefühl beim Essen. Das Fett der Kobe-Rinder schmilzt bereits bei 25 Grad und beim Kontakt mit der 37 Grad warmen Mundhöhle schießt das flüssige Rinderfett aus den Fettadern und füllt den Mund. Der verschwindend geringe Rest Muskelgewebe verschwimmt in der cremigen Masse und schafft es gerade noch so, ein dezentes Fleischaroma beizusteuern. Die Textur von Kobe-Rind ist einzigartig und definitiv ein einzigartiges Erlebnis. Ich würde mich auch dazu hinreißen lassen, das Fleisch als das saftigste der Welt einzustufen. Zum besten Fleisch der Welt allerdings fehlt mir der Charakter. Damit ist Missverständnis Nummer eins geklärt: Kobe-Beef schmeckt Welten weniger aromatisch als ein trocken gereiftes Angus-Rind oder das Fleisch einer fetten alten Kuh oder eines deutschen Wagyus mit ausreichend Fleischanteil. Es fühlt sich im Mund jedoch einzigartig saftig und zart an und hat gefühlt kaum noch etwas mit Fleisch zu tun, wie man es kennt. Dass die Japaner bei ihrer Verständnis von Kulinarik gerne die Augen vor dem Thema Tierethik und Umwelt verschließen, ist kein Geheimnis – davon können Thunfische und Wale ein Lied singen.

Kobe-Zeremonie in einem japanischen Restaurant in Kobe

Kobe-Steaks zum Sattessen? Geht nicht!

Missverständnis zwei besteht darin, dass Kobe-Rind gerne als Rohstoff für High-End-Steaks betrachtet wird. Der immense Fettgehalt lässt den vertrauten Fleischkonsum in Form eines dicken, hungerstillenden Steaks allerdings nicht zu. Das Fett ist zwar nicht hochgradig ungesund, es hat einen hohen Anteil an Omega3-Fettsäuren, vergleichbar mit Lachs, doch der Körper rebelliert bereits nach einer recht geringen Menge. Mehr als 150 Gramm Kobe-Beef ist kaum verkraftbar, dann widersteht einem das Fett. Man bedenke: In diesem Moment hat man bereits etwa 100 Gramm Fett konsumiert. Das ist mit einer kleinen Mahlzeit schon deutlich mehr als der empfohlene Tagesbedarf von 70 Gramm.

Kobe-Beef muss in wohl dosierten Mengen genossen werden. Im Ursprungsland Japan kommt Kobe als hauchdünne Fleischscheiben ins Shabu Shabu oder in einen Sukiyaki-Eintopf, es wird dünn aufgeschnitten für Sekunden über Holzkohle gegrillt (Yakiniku) oder landet als flambierte Auflage auf Fusion-Sushi. Für Touristen zelebriert man gerne eine kleine Kobe-Zeremonie, bei der ein Steak in verschiedene Bestandteile zerlegt und einzeln gegrillt wird – auch hier nur in kleinen Happen genießbar. Mark Schatzker, der in seinem Buch: Steak – One man’s search for the world’s tastiest piece of beef auf die Suche nach dem besten Fleisch der Welt geht, hebt Wagyu auf eine Ebene mit Foie Gras. Wagyu – so Schatzker – sei edler und raffinierter als Fleisch, wie man es kenne – aber nicht besser, sondern einfach anders. Fleisch muss für ihn blutig und fleischig sein, man müsse realisieren, dass man ein Tier verspeise. Bei hochmarmoriertem Wagyu sei das nicht gegeben. Richard Vines befragte in einem Artikel für Bloomberg dutzende Chefköche nach ihrer Meinung zu Wagyu-Beef. Was sich durch die Antworten der Köche zieht, ist die Aussage: Kobe-Beef ist toll, aber fast alle würden ein weniger stark marmoriertes und lange gereiftes Rind vorziehen.

Luxuriös und aufgregend, aber nicht alltagstauglich

Kobe und hochmarmoriertes Wagyu-Fleisch müssen als eine eigene Kategorie von Lebensmittel eingestuft werden, die sich in jederlei Hinsicht von allen anderen Fleisch-Fabrikaten unterscheidet. Das gilt für das Geschmackserlebnis, den Nährwert, für den Einsatz in der Küche und nicht zuletzt auch für den Preis. Beim Thema Tierwohl, muss sich jeder Genießer selbst die Frage stellen, wie weit er/sie gehen möchte. Kobe-Beef ist aus rein kulinarischer Perspektive weder das beste Fleisch der Welt noch die High-End-Stufe der heimischen Grillparty. Kobe-Beef gehört in die Hände von Experten, die sich der Wucht des Fetts bewusst sind und es in die richtigen Bahnen lenken können. Um es kurz zu machen: Kobe ist das wohl saftigste, weil fettigste Fleisch der Welt. Es zu essen ist eine luxuriöse, aufregende und einzigartige, allerdings nicht alltagstaugliche Genuss-Erfahrung.

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