Einen Besuch im Noma in Kopenhagen hatte ich mir ehrlich gesagt nie ausgemalt – gar nicht erst damit angefangen. Für verschwindend gering hielt ich die Chance, jemals einen Platz dort zu ergattern. Mit der Ankündigung der „Schließung“ des Restaurants in 2024 war dann auch der letzte Gedanke daran verflogen. Und doch sitze ich im Juni 2023 plötzlich zum Mittagessen in einem der ikonischsten Restaurants der Gegenwart. Terese hat es möglich gemacht, in einer Nacht-und-Nebel Aktion mit der Entertaste im Anschlag und einem Browser im Staccato-Refresh, am Tag der Platzvergabe für die Sommersaison. Nach zwei Minuten sind alle Plätze weg – und zwei davon gehören uns. Ich erfahre erst an meinem Geburtstag davon und bin regelrecht erschlagen, weil mir bewusst wird, wie sehr ich es mir insgeheim doch gewünscht hatte.
Noma: Zehren von der Vorfreude
Von der Vorfreude auf diesen Tag zehre ich sehr lange. Das Noma verkörpert für mich – ohne es jemals gesehen zu haben – vieles von dem was mich an Kulinarik fasziniert: Erfinder der radikal regional und saisonal denkenden Nordic Cuisine. Die Neugier auf unerforschte Aromen- und Produktwelten. Die Besessenheit, Geschmackstiefe zu erzeugen, mit biologischen Prozessen und althergebrachten Kulturtechniken. Ein gastronomisches Konzept, erschaffen auf der Basis von Fermentation, mit einem Labor, das den Geschmack dieses Ortes prägt. Den Noma Guide to Fermentation habe ich sicher 10 mal gelesen und viele der Artikel auf Schlaraffenwelt.de fußen auf den dort gebündelten Erkenntnissen. Die (umstrittene) 50’s Best Rangliste führte das Noma lange als das beste Restaurant der Welt. Das mag diskutabel sein. Eines der aufregendsten und mit Bedeutung aufgeladensten ist es für mich definitiv. Alleine das Beobachten aus der Ferne über die Instagram-Kanäle lässt mich immer wieder staunen. Meine Erwartungshaltung: Ich rechne mit einem Erlebnis, das auf kulinarischer Ebene mehr das Prädikat spannend, interessant und aufregend, denn lecker und kulinarisch befriedigend verdienen wird.
Auf dem Weg ins Noma
An diesem windigen Junitag in Kopenhagen machen wir uns gegen elf auf den Weg vom Hotel Richtung Noma – zu Fuß. Wir sind viel zu früh dran, weil wir nicht einmal wissen, wann die Reservierung beginnt. Kurz nach halb 12 kommen wir an. Eine dicke Kordel versperrt den Weg aufs Gelände, aber von der Straße aus kann man den gesamten Garten überblicken. Er ist übersät von Wildblumen, Fenchel, Rosen und anderen Gewächsen, die teils essbar, teils wie ästhetisches Unkraut wirken. Der Blick in diese Pflanzenwelt wirkt wie ein Symbol für das, was das Noma in meinem Kopf ausmacht. Das Kontrollierte im Unkontrollierten. Dem Lauf der Natur folgen und sie gleichzeitig bändigen. Restaurantleiter Ali (kennen wir von Instagram) bittet uns hinein. Er weiß schon, dass wir einen Tisch gebucht haben. Ein kleiner Noma-Mythos bestätigt sich: Man kennt seine Gäste. Im ersten Gewächshaus des Areals trinken wir einen Brombeer-Cider und atmen tief ein. Ja, es klingt pathehtisch und ja, es ist nicht mein erster Besuch eines Sternerestaurants, aber der Moment des Wartens, mit dem feinperlenden Glas in der Hand, hat etwas Episches. Die Atmosphäre im Warteraum ähnelt dem Gefühl, in einem Spa-Bereich auf seine Behandlung zu warten. Temperatur, Geruch, Licht, Materialien. Alles passt.
Die letzten Meter durch den Garten
Nach und nach werden die Gäste ins Restaurant gebeten. Vor uns liegt ein 100 Meter langer Weg, der einmal quer durch die Beete führt und vor der berühmten Holztür endet. Ich weiß schon, was uns hier erwartet – ein weiterer Noma-Signature-Moment. Tatsächlich finde ich es dann aber eher befremdlich, dass beim Öffnen der Tür ca. 30 Personen vor uns stehen und uns lautstark begrüßen. Sicher – das ist beeindruckend. Mir wäre eine leise Begrüßung lieber gewesen. Der Moment reißt einen aus der fast meditativen Stimmung des Ankommens.
Wir nehmen Platz. Der Gastraum ist nordisch schlicht – für ein Spitzenrestaurant regelrecht unspektakulär. Doch im Gesamtkontext der Positionierung als naturnaher Genussort wäre alles andere auch nicht passend. Nichts lenkt ab, voller Fokus auf das, was in den nächsten 180 Minuten auf dem Tisch passiert. Und das passiert schnell. Nach einer kurzen „sparkling or still“ Abfrage steht der erste Gang nach etwa fünf Minuten vor uns. Und damit steigen wir ein in den kulinarischen Teil dieses Erfahrungsberichts.
Das Menü
Kräuterseitling (King Oyster Mushroom) mit Haselnussauce und Ameisen
Gang eins ist ein gedämpfter Kräuterseitling, der wie ein japanischer Sepia hauchdünn eingeritzt ist, aromatisiert mit Holunderblüten. Dazu wird eine samtige Haselnussauce gereicht, deren subtile Zitrusnoten aus gemörserten Ameisen stammen. Ein Klassiker im Noma. Ein sehr subtiler Gang zum Start mit einer sanften und gleichzeitig mundfüllenden Sauce, die durch die Amseisensäure in einer zweiten Welle viel Komplexität ausstrahlt. Faszinierend ist vor allem das Mundgefühl der Pilze, die (nicht zufällig) frappierend an Tintenfisch erinnern. Das Aromenprofil: Pilzig, nussig, waldig, mild.
Cracker aus Miso und Sonnenblumenkernen mit Goldener Bete
Ein wahnsinnig umamireicher Cracker aus Holundermiso und Sonnenblumen mit glasierter Goldener Bete und einer Kürbiscreme folgt. Ein Gang mit einem perfekt austarierten Spiel aus Texturen. Ein enorm befriedigender Crunch mit einem Hauch Bete-Knack löst sich in cremigem Wohlgefallen aus. Gleichzeitig zeigt sich in diesem Gang bereits die Kunst, die sich durch das gesamte Menü zieht: Jeder Bissen ist perfekt ausbalanciert zwischen süß, salzig und säuerlich. Die Aromen kommen in kleinen Wellen und werden gebettet auf ein Umami-Gerüst, an das man sich erst gewöhnen muss. Ich kann mir vorstellen, dass so viel sensorische Stimulation auch überfordernd wirken kann.
Bärlauch mit fermentiertem Weizen, dazu Pinienzapfen mit Fetthenne
Es geht weiter mit einem Bärlauchblatt, das um einen Weizenkuchen gewickelt wird, der mit Koji zu einer süßlich-würzigen Füllung fermentiert wurde. Das Blatt wird über Holzkohle angegrillt und dabei mehrfach mit einem Garum lackiert. An der Seite: Ein eingelegter Pinienzapfen mit einem Blatt Fetthenne. Das gegrillte Bärlauchblatt ist der Inbegriff von Lagerfeuer-Umami. Herzhaft wie eine luftgereifte Salami mit exakt der richtigen Dosis Rauch, nur noch etwas süchtigmachender. Der junge Pinienzapfen kontrastiert durch absolute Schlichtheit. Fast keine Behandlung, einfach nur konservierte Natürlichkeit. Beim Kauen zerfällt er zu einem Gelee, das Harz- und Zitrusaromen verbindet. Wieder: Faszinierend.
Blütensalat mit Tomatenwasser
Was klingt, wie der Inbegriff einer sehr wässrigen Angelegenheit, ist das aromatische Gegenteil. Die Blütenblätter sind so durchdacht selektiert, das jedes Blatt eine andere Note ins Gericht bringt. Von floral über vegetabil, bitter, süß bis erbsig. Das eigentliche Spektakel findet aber in der Flüssigkeit statt. Das reduzierte Tomatenwasser hat eine derartige Tiefe und schmeckt so herrlich adstringierend, dass es mir kleine Tränen (der Säure) in die Augen drückt. Abgeschmeckt ist es mit Pinienöl und Magnolien-Auszug.
Paneer aus Sonnenblumenmilch mit Erbse und Johannisbeere
Ein Happen – zusammengehalten aus dehydriertem weißem Johannisbeer-Fruchtleder – besteht aus jungen Erbsen und einem Paneer (Käse), der nach indischer Tradition, jedoch aus Sonnenblumenmilch hergestellt wird. Dazwischen drücken hocharomatische Kräuter dem Gericht einen ätherischen Stempel auf. Das schmeckt wie ein Mund voll kondensiertem Frühling – und wieder reizt das Gericht alle Geschmacksspektren maximal aus, bis auch die letzte Johannisbeersäurespitze verhallt ist.
Gegrillte Aubergine mit Käseschaum
Der ausdrucksschwächste Gang des Menüs: Gegrillte Aubergine mit einem Schaum aus einem dänischen Käse, aromatisiert mit japanischem Bergpfeffer. Im Vergleich zu den umamilastigen Gängen zuvor ein Happen zum Durchatmen. Leicht rauchig, dezent gewürzt. Gut, aber nicht spektakulär wie die bisherigen Momente.
Hirsetasche mit jungem Knoblauch
Eine Art Hirse-Dumpling ist mit gerade so weich gegartem jungem Knoblauch gefüllt und für sich alleine schon eine faszinierende Angelegenheit. Gebettet ist das Gericht auf eine Eigelb-basierte Sauce, die mit Safran angereichert ist. Für erneute florale Akzente sorgen Ringelblumenblütenblätter. Und auch hier zeigt sich, das ein Blütenblätter-Einsatz nicht auf rein dekorative Zwecke beschränkt sein muss.
Yuba mit Küstengemüse
Es folgt eine Noma-Interpretation der japanischen Spezialität Yuba. Dabei handelt es sich um die beim Aufkochen entehende Haut von Sojamilch. Im Noma wird für Yuba eine Mischung aus Dänischer Milch und Soja verwendet. Sie ist gebettet auf „Gemüse von der Küste“, darunter sind Salicorn und ähnliche salzige Gewächse, außerdem Zucchiniblüten und Kohl. Verbunden wird das alles durch eine Emulsion aus Kojiwasser und Jasmintee. Jetzt wo ich das schreibe, klingt die Zusammensetzung höchst willkürlich. Der Gesamtgeschmack der Komposition ist für mich allerdings einer der besten des gesamten Menüs. Laktisch, grasig, jodig und gleichzeitig süßlich mild und vollmundig. Süchtigmachend. Ein perfektes Beispiel dafür, wie es im Laufe des Menüs immer wieder gelingt, kulinarische Momente heraufzubeschwören, die kaum vergleichbar sind, weil schlicht geschmackliche Referenzen fehlen. Das muss man erstmal schaffen.
Spargeltempura
Einer der zugänglichsten Gänge (wenngleich bisher kein Gang wirklich unzugänglich war). Aromatischster Spargel in einem dicken Tempurateig ausgebacken und überzogen mit einer Safran-Eigelb-Sauce. Ein klassischer Fall von süffig und lecker – aber wenig komplex und überraschend.
Grüner Reis mit grünem Tofu
Nach vielen Fermentations-Elementen geht es in diesem Gang um besondere Zutaten. Vom gerade beendeten Gastspiel in Kyoto hat das Noma Team grünen Reis und grünen Tofu mitgebracht. Der Reis gilt als hochgradig kompliziert im Anbau und erinnert geschmacklich mehr an Getreidegraupen. Beim Kauen der al dente gekochten Körner entwickelt sich eine prägnante Süße. Daneben ein grüner Tofu, hergestellt aus grünen Sojabohnen. Der Tofu ist der beste Tofu, den ich je probiert habt – mit einer sanften aber präsenten Sojanote und einer zartschmelzenden Cremigkeit und Kühle, die einen nach zwei Löffeln sehnsüchtig zurücklässt. Eingefasst werden beide Komponenten von einer Dashi-Reduktion, die den japanischen Charakter des Gerichts unterstreicht. Die Dashi RDX gibt es später auch als Give-Aways zum Abschied. Ein ungemein subtiler Gang, der im Vergleich zur Aubergine aber eine hohe Spannung und aromatische Neuartigkeit in sich trägt.
Gemüse aus dem Garten
Ein Gang, wie ich ihn liebe: Rohes, unbehandeltes Gemüse – wenige Stunden zuvor geerntet auf einer Partnerfarm des Noma. Prädikat: „Es hat nie einen Kühlschrank gesehen.“ Hauchdünn aufgeschnitten und wunderschön arrangiert. Dazwischen auch Erdbeeren und Fettgewächse – ein Abbild der Saison zum Status Quo. Verbunden wird das Gemüse-Arrangement durch eine gigantische Beurre Blanc am Tellerboden. Sie besteht aus einer Tomatenwasserreduktion, Auszügen von koji-fermentiertem Weizen und ist mit Butter emulgiert. Ihr wohnt eine kaum zu beschreibende Süffigkeit innen, die an gereiften Schinken erinnert und – das ist ist vielleicht die größte Kunst – mit allen Elementen auf dem Teller harmoniert. Von der Zucchini über die Erdbeere bis zum saftig platzenden Eiskraut. Ich verlange nach einem Löffel, es darf kein Gramm übrig bleiben.
Kräuterseitling mit Wintertrüffel
Als Hauptgang angekündigt wird ein kunstvoll bearbeiteter Kräuterseitlings-Stiel serviert, der mit reichlich australischem Wintertrüffel behobelt an den Tisch kommt. Die Nachfrage am Nachbartisch: „Australian, really?“ kann ich nachvollziehen. Der Einsatz importierter Zutaten (ohne weitere Begründung) gehört nicht zur Noma-DNA wie ich sie verstehe, aber ich verschmähe die Edelpilze in diesem Moment natürlich nicht. Abgsesehen von dieser konzeptionellen Mini-Irritation ist der Gang eine Wucht. Der Kräuterseitling wurde über Holzkohle gegrillt und bis ans Limit mit einer Umami-Glasur bearbeitet, die goldbraun karamellisiert ist. Die Holzkohle-Aromen sind zur Perfektion nuanciert und der Wintertrüffel erdet das Gericht mit seiner waldigen Ätherik wortwörtlich. Es ist einer dieser Gänge, der jeden Pilz-Skeptiker stante-pete umstimmen würde und Fleischessern das Fleisch abgewöhnen könnte. Um das Wort ein letztes Mal zu bedienen. Es ist – wiedermal – Umami am Anschlag, gepaart mit Süße und Säure.
Früchte mit Waldmeister Anglaise
Dessert eins folgt der Stilistik des Gemüse-Tellers: Sommer-Beeren einer unglaublichen Qualität und Intensität werden gereicht mit einer mit Eigelb gebundenen Sahnecreme, die mit Waldmeister aromatisiert, aber kaum gesüßt wurde. Die Süße kommt hier durch die hochreifen Beeren. Die Waldmeister Anglaise ist aber für sich alleine ein Erlebnis und liefert perfekte Inspiration für das Glas des getrockneten Krauts, das bei uns seit letztem Jahr auf einen Einsatz wartet.
Danish Bitters Eis mit Kojimantel
Während wir uns schon im sicheren Anflug auf den Abschlusskaffee wähnen, sorgt das Menü für einen letzten nomaesken Paukenschlag, der wohl am meisten dem enstpricht, was ich im Vorfeld ein wenig „befürchtet“ hatte. Das Danish Bitters Eis mit Kojimantel hat wenig mit einem klassischen Glücklichmacher zum Abschluss zu tun. Vielmehr kostet es auch uns, als Fermentations-Aficionados, ein klein wenig Überwindung in das von weißem Schimmel überzogene Eis zu beißen. Der erste Moment erinnert dabei an das Durchstoßen einer Camembert-Haut, die ja ebenfalls aus Schimmel besteht. Im Zusammenspiel verbinden sich sanfte Bittertöne mit milder Eis-Süße, Koji-Umami und der Säure aus dem Johannisbeer-Leder, das als Griff-Hilfe für das Eis fungiert. Denkwürdig? Absolut. Satisfy-Faktor? Begrenzt.
Eingelegte Magnolie mit Karamell und Gewürzen
Die Magnolienblüte zum Abschluss ist dann jener gefällige Crowd-Pleaser, den es nach einem derartig erlebnisintensiven Menü braucht. Die Blüte ist eingelegt, überzogen mit Schokolade und Salzkaramell und bepudert mit Gewürzen, die an chinesische Five Spices erinnern. Eine kleine Versöhnung mit dem überraschend fordernden Gang zuvor und ein (fast schon zu) gefälliger Abschluss eines spektakulären Menüs.
Getränkebegleitung & Service
Begleitend zum Menü werden im Noma eine alkoholische und eine alkoholfreie Begleitung angeboten. Ich bin kein erfahrener Wintrinker und halte mich deshalb kurz. Für mein Empfinden liefert die „Weinbegleitung“ ein ungewöhnlich breites Spektrum an weinartigen Getränke – darunter ein Sake (Reiswein) und ein Pflaumenwein zum Dessert. Die Hauptweine changieren zwischen gereiften klassischen Weißweinen und Naturweinen mit teils extremen Noten. Was ich sagen kann: Die zwei Weinexperten am Nebentisch kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich selbst kann innerhalb der Begleitung meinen Horizont für „wie kann Wein schmecken“ um ein gehöriges Stück erweitern.
Meine große Faszination gilt seit jeher den alkolfreien Begleitungen. Hier erlebt man – auch in gehobensten Gastronomien – immer wieder echte Reinfälle, à la sieben mal Saft. Dass das Noma hier die Messlatte hoch legen würde, war zu erwarten. Für mich stellt die alkoholfreie Begleitung im Idealfall nicht nur ein bereicherndes Pairing dar, sondern liefert selbst noch einmal eine Art eigenes Menü. Das Noma-Pairing ist eines der besten weil vielseitigsten Pairings auf die ich zurückblicke. Von japanischem Amazake über Tee-Kaltauszüge über vielschichtige Saft- und Kräuterkompositionen bis zu Kombucha aus Chili und Pilz. Beim Himbeersaft mit Aprikosenkernextrakt schenkt mir der Kellner dreimal nach, weil ich nicht aufhören kann, wie hypnotisiert zu nippen.
Der Service im Noma
Das Service-Ballett des Noma agiert in der erwarteten Perfektion und rotiert dabei permanent. Mit jedem Gang kommt ein anderes Gesicht an den Tisch. Ich erkenne dabei, dass mir eine konsistente Betreuung von einem Ansprechpartner über das gesamte Erlebnis grundsätzlich besser gefällt – so baut sich mehr Beziehung auf. Und auch, weil sich die Qualität (eher: Quantität) der kulinarischen Einordnungen im Noma von Person zu Person stark unterscheiden. Viele Zusammenhänge erschließe ich mir, indem ich den Kellnern an den Nachbartischen lausche und Fragen stelle. Bei vielen Gängen hätte ich mir noch mehr Erläuterung gewünscht, speziell nachdem ich mehrmals Details erfragen muss und dadurch ja sichtbar wird, dass ich mir das wünsche.
Mir entgehen dadurch Details, die den Blick auf ein Gericht für mich nochmal verändern. Dieser zurückhaltende Umgang mit den wahnsinnig spannenden Entstehungsgeschichten der Gerichte, ist für mich ein kleines aber im Gesmteindruck das größte Manko innerhalb eines dennoch fesselnden Erlebnisses. Es wäre leicht gewesen es dadurch noch ein paar Prozent fesselnder zu gestalten. Bestes Beispiel: Dass die Säure im ersten Gang durch gemörserte Ameisen zustande kommt, müssen wir uns selbst erschließen – dabei ist das aus meiner Sicht mehr als bemerkens- und erwähnenswert.
Fazit eines Noma-Lunchs
Ich habe diesen Artikel bewusst mit etwas Abstand verfasst. Den gesamten Nachmittag habe ich mich wie berauscht gefühlt. Von der reinen Tatsache, diesen Ort erleben zu dürfen und auch von der dargebotenen Geschmackswelt. Das bringt eine Verzerrung der Wahrnehmung mit sich, ob man will oder nicht. Aber auch fünf Tage später bin ich noch fasziniert von den neuen geschmacklichen Türen, die viele der Gänge aufgestoßen haben. Von diesem Grund-Umami und dem delikaten Geschmack durchdachter Fermente, der fast jedem Gang zugrunde lag. Ein Besuch im Noma eröffnet einem das Privileg, die Resultate jahrelanger Forschung schmecken zu dürfen. Auf dem Teller landen – neben hochklassigen Produkten – die Endergebnisse von Prozessen, die teilweise über Jahre hinweg ablaufen. Dinge, die man zu Hause niemals nachahmen könnte. Wer – wie wir – einen Zugang zu dieser biochemischen Welt gefunden hat, kann im Noma echte Offenbarungsmomente erfahren.
Lässt man die große Debatte über die Personalsituation im Noma außen vor, hat mich das Restaurant positiv in seinen Bann gezogen. Stellt man sich zwischen den Gängen, auf dem Weg zur Toilette, für ein paar Augeblicke an die offene Anrichte-Küche, dann spürt man viel von dem Geist, der das Noma umweht. Dutzende hochfokussierte Talente aus aller Welt arbeiten in Gruppen an Tellern, während von allen Seiten Sonne in das lichtdurchflutete Zentrum des Restaurants strömt. Dass hier viele junge Köche bereit sind, für wenig bis kein Geld ihren Lebenslauf aufzupolieren und Noma-Luft zu atmen ist in diesem Moment nachvollziehbar und vermutlich Fluch und Segen dieses Ortes gleichermaßen. Seien wir ehrlich: Ich würde es auch tun. Zumindest für ein paar Tage.
Das, was im Noma entstanden ist, hat Weltformat für eine kulinarische Nische, die mich begeistert. Die Gänge hatten mit kleinen Ausnahmen eine Einzigartigkeit, die ich von einem Ort dieses Kalieber erwarte. Noma ist Nerdkram – wobei nicht ganz so ausgeprägt, wie erwartet. Allen Gerichten liegt der Geschmack von Zeit, Bakterien und Hefen zugrunde – wer Umami am Limit spüren will, kommt im Noma auf seine Kosten. Man muss allerdings ein wenig von Fermentation verstehen und sich für dieses Thema begeistern können. Sonst kann sich die Magie dieses Ortes nicht vollends entfalten.