Das Menü im Taubenkobel: Es lebe das Wildkraut!

Von Budapest nach Wien fährt man im Mai durch saftig-grüne Hügel, Abertausende Holunderbüsche und Windräder, wohin das Auge reicht. So richtig will sich der Blick allerdings nirgends festhalten. Wir entscheiden uns deshalb – mehr ahnend als wissend – für einen Stop am einzigen See, den uns Google Maps in der Gegend vorschlägt. Der Neusiedlersee verbindet österreichisches und ungarisches Territorium und ist das Wochenendziel der Wiener, die wassernahe Erholung suchen. Mittendrin – der Taubenkobel: Eine Restaurant-Institution, über die die Welt schreibt: „Dieses Restaurant sollte jeder kennen“. Drei Artikel später bin ich so richtig angefixt, ich fühle mich bei den Berichten an unseren Besuch im Sosein erinnert. Nachdem wir durch Zufall dann auch noch die Besitzerin des Taubenkobel in ihrer neuen Strandbar treffen, verstehen wir das als Wink des Schicksals und bitten sie, für uns gleich einen Tisch zu reservieren. Gesagt, getan. Abends sitzen wir in Schützen am Gebirge (das ist tatsächlich der Name der Ortschaft) in einer Lokalität, für die man besser Bilder sprechen lässt.

 

Unser Menü im Taubenkobel

Amuse 1: Räucheraal und Gänseleber

Eine gelierte Räucheraal-Essenz bildet den geschmacklichen Kern des Auftakt-Gerichts, dessen zweite Komponente aus pürierter, im Pacojet geeister und anschließend fein gehobelter Gänseleber besteht. Zwei umami-beladene Zutaten, die uns mit Wucht ins Menü hineinziehen. Der doppelte Schmelz durch Eis und Fett ergeben ein faszinierendes Mundgefühl und das Geschmackszentrum wird bei dieser Menge an Glutaminsäuren und Fett direkt zu Beginn richtiggehend attackiert. Ich mag das.

Amuse 2: Kohlrabi

Eine kleine Kohlrabiknolle im ganzen Serviert, mit Kohlrab-Gel, Senfsaat und Kräuter-Creme. Nach dem unmissverständlichen Auftakt ist das ein Gang, der deutlich mehr Zuwendung braucht. Ein Spiel mit kohligen, sauren und senfigen Aromen, das meinen Geschmack nicht ganz trifft, mich aber mit dem Texturspiel rund um die Gemüse-Hülle letztendlich doch irgendwie fängt. Mehr spannend als delikat, meine subjektive Einschätzung.

Gang 1: Forelle – Radieschen – Leindotter

Das ist Frühling auf dem Teller. Der Gang erinnert mich an den Frühlingssalat meiner Mutter, auf Sterne-Ebene transportiert. Mit einer roh marinierten Forelle aus dem Neusiedler See, Radieschen, Blumenkohlpüree, einer Erbsenschote und Leindotteröl. Die roh belassenen Gemüse lassen mit ihren dezenten Aromen der ebenfalls dezenten Forelle genügend Durchschlagskraft und wecken in jeder Richtung Frühlings-Assoziationen. Wenig komplex, dafür hochwertigste Zutaten, die in ihrer Kombination toll funktionieren.

Gang 2: Kaviar – Wiesencreme – Blüten

Muss man sich erstmal trauen: Ein Spaziergang quer durch die Frühsommerwiese als grüner Smoothie aka. kalte Suppe serviert. Die „Wiesencreme“ schmeckt etrem vielschichtig im Verlauf des Mundkontakts. Zuerst blumig süß, dann bitter, bis zu scharfen, senföligen Kresse-Noten im Abgang. Die ungesalzene Suppe erhält ihre Würze durch Saiblingskaviar. Der bewirkt in jeder Geschmacksphase etwas anderes: Gibt den süßen Tönen Tiefe, nimmt den Bitternoten die Spitzen und verstärkt die Kraft der scharfen Senföle. Ein Gang, den ich mir erst erschließen muss, der mich dann aber restlos begeistert.

Gang 3: Confierter Wels – junger Knoblauch – Hagebutte

Ein solider Gang, im Gesamtbild für mich aber der Schwächste. Der Wels hat mir mit seinem milden Aroma zu wenig Charakterkraft, der junge Knoblauch, in dicken Stücken, seiner Intensität zu viel und die Hagebutte spielt als Mini-Tupfer unten im Teller eine Nebenrolle. Genial ist für sich alleine der intensive Fischsud, der den Wels geschmacklich leider komplett überlagert.

Gang 4: Schützner Jause

Spektakulär, außergewöhnlich, ein Gang, der mich noch lange beschäftigen wird: Das Brot, das hier eine Hauptrolle spielt, riecht man schon den ganzen Abend über. Der Geruch weckt eine Erwartungshaltung, die zu erfüllen man einem Brot nur schwer zutraut. Jeder Gast erhält einen frischen Laib, der dampfend gebrochen wird. Dazu karamellisierte Butter, Mangalitza-Schmalz, Schinkenvariationen, Vorarlberger Butter und sieben Wildkräuter. Das Brot hat eine Krume, die mich bis heute beschäftigt – hier hat die Maillard-Reaktion in Perfektion funktioniert. Milder, süßlicher, mundfüllender Brotgeschmack, dass ich gar nichts anderes bräuchte. Doch es kommt noch grandioser: Die karamellisierte Butter – bis zum Limit gebräunt und wahnsinnig mundfüllend in ihrer Nussigkeit geht mit diesem Brot eine Symbiose ein, die mich einfach nur fasziniert. Wieder einmal wird klar, dass gutes Brot und gute Butter zu den köstlichsten Kombinationen überhaupt gehören, wenn beide Komponenten in derartiger Vollendung daher kommen.

Was ist noch zu erwähnen? Zu Butter und Schinken gesellen sich sieben verschiedene Wildkräuter, die mit Distelöl benetzt werden – optisch fein gelöst, mit einer Distelblüte als Ölpinsel. Auch das trifft mich als WIldkräuter-Fan mitten ins Herz. Spitzwegerich, Kerbel, Gundermann, wilder Feldsalat – um nur ein paar zu nennen. Vor uns stehen 12 Komponenten, die kindliche Spielfreude wecken. Spitzwegerich mit brauner Butter und Mangalitza-Schmalz. Lardo mit Gundermann. Es ist eine wahre Freude und wir verlieren uns so im Geschmacksrausch, dass unser Kellner schon mit dem Folgegang am Tisch steht, bevor wir ganz fertig sind. Es ist bereits kurz vor 11 und noch stehen drei Gänge an.

Gang 5: Milchlamm – Kerbelwurzel – Salzzitrone

Der Hauptgang – er hat es schwer nach diesem Vorgänger-Gang, der uns ordentlich weggeblasen hat. Konzentration auf das Lamm. Ein Gang, bei dem ich den „Fehler“ begehe, zuerst jede einzelne Komponente alleine zu probieren. Isoliert betrachtet ist mir das Lamm zu wenig gewürzt, das Salzzitronen-Gel zu sauer. In Kombination allerdings ein Hochgenuss, verbunden durch das cremige Püree aus der Kerbelwurzel und einer hervorragenden Jus. Zum Glück früh genug erkannt, ist das ein schöner – wenn auch sehr klassischer Gang – der dadurch etwas aus dem Nordic-Cuisine-Rahmen fällt, der das Menü bislang dominiert hat.

Gang 6: Roggen – Labneh – Klee

Und schon wieder sind da die Wildkräuter. Ein von einer Kleehaube bedeckter Roggenlaib, bestrichten mit saurem Labneh-Käse. Dazu die faszinierend fruchtige Säure aus dem Klee – ein Gang ohne Salz und Süße. Erdig, sauer, frisch und mutig.

Gang 7: Mandeln, Rhabarber, Bittersalate

Das Menü schließt mit einem Signature-Dish des Taubenkobel. Radiccio im Dessert hatte ich bislang noch nie. Verblüffenderweiße hat der Bittersalat keinerlei Bitterkeit mehr. Die vertraute Blattkonsistenz mit völlig neuartiger Aromatik umhüllt ein Rhabarbereis aus dem Pacojet, perfekt cremig, intensiv und mit der richtigen Süße-Dosis. In Kombination gegessen, fühlen sich die Salatblätter fast schon kandiert an. Es ist der faszinierendste Gang des Abends und somit ein absolut würdiges Ende eines in Summe grandiosen Menüs.

Erwähnenswert: Die alkoholfreie Weinbegleitung

Wie auch im Sosein wähle ich die alkoholfreie Weinbegleitung, die interessiert mich meist noch mehr als die noblen Weinkarten. Hier herrschen weniger etablierte Strukturen, die Kreativität der Küche scheint stärker durch, weil man im alkoholfreien Segment fast alles darf. So fallen dann auch die Kreationen aus: Ein Veilchen-Cocktail, ein Apfel-Prisecco mit Meersalz und Vogelmiere, ein Aufguss mit Lindenblüten und Tannenwipfel, ein carbonisierter Cocktail mit Gurke und Hollunder oder der Cocktail aus Kamille, Rose und Rhabarber. Einzig das Johannisbeer-Mango-Schorle zum Hauptgang fällt für mich stark ab – alle anderen Getränke bereichern das Menü, als würde man 7 weitere Gänge zu sich nehmen. Große Klasse!

Fazit zum Taubekobel-Besuch

Der Taubenkobel ist eine Institution – das kann man getrost sagen, auch nur ohne einen Bissen gekostet zu haben. Jeder Raum ist anders gestaltet, jeder in sich stimmig und in der Gesamtheit überwältigend. Überall liegen Bücher, hängen Bilder, man könnte auch einfach nur durch die Gemäuer flanieren und sich im Weinkeller verlieren.  Der Garten im hinteren Teil, der zum Relais & Châteaux übergeht ist eine Ruhe-Oase voller Detailverliebtheit.

Das Essen: Eine sehr naturnahe Küche, die mit einzelnen Gängen (speziell der Brotgang in der Mitte des Menüs) ungewöhnliche Wege einschlägt und damit bei mir genau ins Schwarze trifft. Regionale Zutaten werden möglichst unverfälscht zur Geltung gebracht, ohne die manchmal absurden Ausprägungen der extremen Nordic Cuisine. Unbekannte heimische Aromen erhalten hier eine Bühne. Dass ein Gang aus mit Öl benetzten Wildkräutern und herausragendem Brot bestehen kann, ist da nur konsequent, aber es muss halt erstmal jemand machen. Haubenkoch Alain Weisgerber traut sich das und sichert sich dadurch meine uneingeschränkte Empfehlung. Wer in Wien weilt, sollte die Stunde Fahrt in Richtung Süden unbedingt auf sich nehmen!

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