Es war ein Podcast, der mich binnen Sekunden voll im Griff hatte: Felix Schneider, Chefkoch des Restaurant Sosein (1 Michelin-Stern) philosophierte über die Boxen des Autoradios über seinen Weg des Kochens und Genießens und ich wusste in diesem Moment: Ich muss dort essen. Es waren die Schilderungen über die Suche nach der perfekten Tomatensorte mit den perfekten Anbaubedingungen und der perfekten Serviertemperatur. Die Beschreibung des Reifekellers und des Drangs nach ultimativer Veredelung und gleichzeitig ganzheitlicher Verwertung von Pflanze und Tier, vorgetragen mit einer derartigen Inbrunst, ließ mich innerlich jubeln. Felix Schneider erzählte von kulinarischen Dingen, die meinem Verständnis von Genuss näher kamen als vieles bisher Gehörte.
Eintauchen in die Sosein-Philosophie
Das war im Februar. Sieben Monate später parke ich das Auto vor dem spärlich beleuchteten Fachwerkhaus in Heroldsberg und kindliche Freude steigt in mir auf. Ehrlich: Ich habe mich noch nie so sehr auf einen Restaurantbesuch gefreut. Meine Erwartungshaltung ist entsprechend hoch. Mein Wunsch ist es, das in Worte gefasste Perfektionsstreben, das mich schon beim Zuhören so faszinierte, nun auch auf dem Teller nachzuvollziehen – verbunden mit der Hoffnung, noch weiter in die Gedankenwelt von Felix Schneider und seinem Team eintauchen zu können. Der Abend, der dann folgt, ist für mich der perfekte Restaurantbesuch. Mit einem extrem hohen Anteil an Erläuterungen und dadurch mit einem Maximum an Erlebnischarakter.
Erläuterungen, die Genuss wachsen lassen
Jeder Gang wird begleitet von einer Einführung des Küchenteams, selbst die Amuse- Geules erzählen – jedes für sich – eine Geschichte, die dem Geschmackserlebnis ein Vielfaches an Tiefe verleiht. Nicht nur zu schmecken, sondern auch zu verstehen, empfinde ich als große Bereicherung und gleichzeitig als Unterhaltungselement, das ich mir bei jeder kulinarischen Erfahrung wünschen würde. Ich nehme euch nun mit auf eine Reise mit 13 Stationen, quer durch das Sosein-Universum. Unter den einzelnen Gängen habe ich die Original-Tonspur des Sosein-Teams platziert. So seid ihr noch näher dran. Entschuldigt die schlechte Handy-Recorder Qualität.
Die Amuse- Bouches des Sosein-Menüs (Oktober 2017)
Fränkische Nutella
Knoblauchzehen werden 40 Tage lang auf 60 Grad erhitzt, was eine Verzuckerung des Knoblauchs herbeiführt. Die gebräunten Zehen werden zu einer Paste verarbeitet und bilden als „Fränkische Nutella“ den Auftakt zu den Amuse- Geules, serviert mit einer frittierten Hefeteigstange.
Zwiebelherz
Karamellisiertes Zwiebelherz mit Estragonessig und Gänsefett.
Ein Blatt Spinat
Ein Blatt Blattspinat, mariniert mit Cassisholzöl und getoppt mit eingelegten, unreifen Cassisbeeren und frittierten Trompetenpfifferlingen.
12 Jahre alte Färse
Eine dünne Scheibe einer 12 Jahre alten Färse, serviert mit sauer eingelegtem Gemüse, wie Gurken, Spargel, einer milchsauer vergärten Löwenzahnblüte, Radieschensamenkapsel und Senfkörner.
Fränkische Schlachtschüssel
Neu-Interpretation des fränkische Traditionsgerichts Schlachtschüssel. Die Basis bildet eine Sauce aus entsaftetem, milchsauer vergorenem Rotkohl,
die mit Butter aufmontiert wurde. Darauf eine – O-Ton – „perfekt gegarte Kartoffel“ und fürs Raucharoma Späne von einer getrockneten und geräucherten Mangalitza-Leber.
Brot und 25 Wochen gereifte Butter
Spektakuläre Fakten kündigen Brot und Butter an: Ein Sauerteigbrot mit dreitägiger kalter Teigführung, noch lauwarm, begleitet von einer Butter, die 25 Wochen gereift ist und bereits stark käsige Aromen gewonnen hat.
Das Sosein-Menü im Überblick (Oktober 2017)
1 Jahr Karotte
Das erste Gericht des Menüs. Es besteht lediglich aus zwei Zutaten – Salz und Karotte. Auf dem Teller finden sich verschiedensten Entwicklungsstufen des Jahreszyklus einer Karotte wieder: Öl aus Karottensamen, gegarte Karotte, alkoholisch vergärter Karottensaft, junger Karotten-Essig und Karottengrün.
Tomate, Garnelenkopf
Scheiben von drei fast vergessenen fränkischen Tomatensorten mit extrem intensivem Tomatengeschmack, dazu als Begleitung der klare Abtropfsaft von optisch nicht ganz perfekten Tomaten als Getränk. Begleitet wird das Gericht von einer karamellig schmeckenden Sauce, für die Garnelenköpfe aus Erdinger Zucht ausgekocht werden.
Forelle gereift, Honig-Senf-Dill
Eine nach Ike-Ime-Methode geschlachtete Lachsforelle, in einem Dashi-Fond, der durch Eigenkollagen eindickt. Die schonende Art der Schlachtung lässt eine Trockenreifung der Fische zu, diese Forelle ist 10 Tage gereift. Eingepinselt mit einer Tinktur aus Dillhonig und Senf, mit Kaviar, Senfkörnern und der rohen Leber des Fischs (rechts).
Pilze, Brühe, Douglasie
Liebevoll „eine Momentaufnahme des Reichswaldes“ genannt: Das Gericht variiert in der Sortenvielfalt von Woche zu Woche. In diesem Fall: Marone, Pfifferling, Semmelstoppelpilz, Totentrompete, Hallimasch, Trompetenpfifferling. Aufgegossen mit einer vierfach reduzierten Rinderconsommee, infundiert mit getrockneten Pilzen und dazu einige Tropfen Douglasienöl. Das Sosein Team geht im Herbst täglich Pilze sammeln.
Milchkuh, Bohne
Ein Stück vom Rücken einer 12 Jahre alten Milchkuh, die 3 Monate vor der Schlachtung trocken gelegt (nicht mehr gemolken) wurde, um einen leichten Fettansatz zu bewirken. 120 Tage trockengereift, erinnert im Aroma an Schinken. Dazu Feuerbohnen, im eigenen Saft gegart.
Tagetes, Schwarze Johannisbere
Ein Dessert, der Tagetes gewidmet. Blütenblätter ganz oben, ein grünes Sorbet aus Stängeln und Blättern, dazu karamellisierte Johannisbeeren im eigenen Saft und dickgelegten Schafsmilchjoghurt.
Getreide
Ganz oben: ein Baiser aus gekeimtem Weizen, darunter ein Eis aus Roggen und leicht gesüßter Roggenporridge (nicht sichtbar). Das Lieblingsgericht des Sosein-Teams.
Fazit zum Besuch im Sosein
Da ich für moderne nordische Naturküche sehr anfällig bin, ist es letztendlich kein Wunder, dass mich der Besuch im Sosein nachhaltig beeindruckt hat. Felix Schneider und sein Team verfolgen einen Ansatz von radikal regionaler Küche, der den oft inflationär genutzten Worthülsen „regional, saisonal“ auf ganzer Linie gerecht wird. Mir kam das Sosein wie ein großes kulinarisches Labor vor, wo im Dauerbetrieb getüftelt und experimentiert wird, um dem perfekten Geschmack möglichst nahe zu kommen. Dazu muss man wissen, dass das Restaurant einen finanzkräftige GmbH im Hintergrund hat, die dem Kreativteam in der Küche genau diesen Freiraum ermöglicht. Das Sosein ist einer der wenigen Orte, wo kulinarische Innovationen wirklich gedeihen können, weil auch ein Kochen am Rande der Wirtschaftlichkeit keine Bedrohung darstellt. Alles hat hier etwas mehr Zeit – das ist das ganz große Plus des Sosein. Hier reifen Milchkühe, ganze Fische, Geflügel und vor allem wahnwitzige Ideen großen kulinarischen Kalibers.