Abstecher nach Yanagawa: Von Samurais und wilden Aalen

Japaner und Aale – sie haben eine spezielle Beziehung. Das wird mir vollends bewusst, als wir in Kyoto über die spezielle Bauweise der Wohnhäuser sprechen. Viele von ihnen sind sehr schmal und hoch gebaut. Der Grund: Die Grundsteuer eines Hauses wird auf Basis der Breite der Hausfront errechnet. Je schmaler also gebaut wird, desto weniger Steuern fallen an. Viele Räume in Japan sind deshalb lang und schmal. Und da sind wir wieder beim Aal. Japaner nennen diese sehr engen aber langen Häuser „Bedroom of the eel“.

Klassische Unagi-Don mit Reis

Japan und Aale

Auch sonst dreht sich in Japan vieles um den Aal. Als Unagi (Süßwasseraal) wird er gegrillt verehrt und in derartigen Mengen konsumiert, dass man diesen Bedarf schon lange nicht mehr aus wilden Aalen decken kann. Aalzuchten schießen deshalb in Japan aus dem Boden. Zum Glück, muss man da sagen. Denn die Japaner haben erst vor gar nicht allzu langer Zeit die technologische Basis für Aalzucht entwickelt. Vorher war es gängige Praxis, die zum Laichen ins Meer wandernden Aale abzufischen und dann kontrolliert in Becken zu halten, bis zur „Genussreife“. Was das für den natürlichen Aalbestand in Japan bedeutete, braucht man nicht zu Ende erklären. Es ist auch hier wie bei so vielen kulinarischen Spezialitäten in Japan: Man wird das Gefühl nicht los, dass man bei ethischen Fragen gerne mal ein Auge zudrückt, solange bis es ganz düster wird. Thunfische, Waale, Haie und andere Meerestiere nicken hier zustimmend.

Die gute Nachricht: Aalzucht funktioniert mittlerweile, was den Bestand der Wildaale zumindest nicht mehr ganz so steil gen Null sinken lässt. Natürlich wird nun heiß diskutiert, was besser schmeckt: Gezüchteter oder wilder Aal. Doch das ist eine andere Geschichte, die wir hier nicht vertiefen müssen, weil es in diesem Artikel schon getan wurde. Jetzt, wo ich weiß, dass die meisten Aale, die ich bisher in Japan gegessen habe, Zuchtaale waren, kann ich sicher sagen: Mir haben sie geschmeckt. Und besser für die japanische Fauna ist es auch.

Yanagawa: Wohnen im Samurai-Anwesen

Dass wir nach unserem Aufenthalt in Kyoto nach Yanagawa weiter fahren, hat ebenfalls mit Aalen zu tun. Die kleine Stadt am Meer ist berühmt für ihre Spezialität – den gedämpften Aal. Der wird – im Gegensatz zum klassischen Unagi – nicht gegrillt, sondern nur in Dampf gegart. Schonmal ein guter Grund für einen Besuch. Bei meinen Recherchen, die ich daraufhin anstelle, finde ich zusätzlich eine alte Samurai-Burg, die bis heute von der Inhaberfamilie geführt wird. Die Bilder sind idyllisch: Traditionelle japanische Zimmer mit Blick auf einen traumhaften Garten und kleine Kanäle, die die Stadt durchziehen. Zack – gebucht! Tatsächlich ist es der einzige etwas „gewagte“ Abstecher auf einer sonst nicht besonders experimentellen Reiseroute.

Und Yanagwa hält, was es verspricht – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das Anwesen der Familie Tachibana ist riesig, sehr geschichtsschwanger und wir sind fast alleine dort. Das bedeutet wir werden von allen Seiten hofiert. Hier ein Zimmer-Upgrade, da eine Extra Onsen-Session, darf’s noch ein Tee mit aufs Zimmer sein? Man hat fast das Gefühl, wir sind die herbeigesehnte Beschäftigungstherapie des Personals. Manchmal fast schon etwas unheimlich, aber insgesamt wahnsinnig zuvorkommend und japanisch-höflich. Wir beschließen deshalb, einfach zwei Tage in unserem schönen Zimmer und in den vielen öffentlichen Räumen des majestätischen Anwesens zu genießen. Ein kurzer Spaziergang durch den Ort bestätigt unseren Verdacht: Viel mehr ist hier auch nicht los. Ein paar japanische „Gondolieri“ schippern Touristen über die kleinen Kanäle der Stadt, die ihr den Namen „Venedig Japans“ verschafft haben. Ja, die Parallele ist erkennbar, aber nur solange man aufs Wasser schaut.

Japanisches Frühstück

Kulinarische Highlights gibt’s aber auch hier. Dazu gehört zum Beispiel das japanische Frühstück, das jeden Morgen für uns zubereitet wird. Ein Onsen-Ei, heißer Tofu in Sojamilch geköchelt. Dazu ein Stück gebratener Fisch, warmer Reis, Pickles, gedämpftes Gemüse und Nori-Blätter. Eine Miso-Suppe darf niemals fehlen, ein frischer Salat mit japanischem Dressing und ein Obstsalat auf Matchacreme. Alles ist so portioniert, dass es mengenmäßig perfekt in einen ausgeruhten europäischen Frühstücksbauch passt. Diese japanische Art zu frühstücken habe ich mittlerweile sehr liebgewonnen. Von vielem ein Kleinwenig – und alles handgemacht. Gut möglich, dass wir diese Inspiration mit nach München nehmen.

Wer nun auf das große Finale mit dem Aal in Yanagwa wartet, wird eventuell enttäuscht sein. Der Aal war richtig gut, aber auch nicht signifikant anders, als die gegrillten Aale, die wir zuvor schon gegessen haben. Vielleicht liegt es daran, dass Aal bei der japanischen Zubereitung IMMER gedämpft wird, damit er einen Teil seines Fetts absondert. Das Grillen ist letztlich nur eine Art anschließendes Glasieren mit einer süßlichen Sauce, die ich sehr gerne mag und die auch auf den gedämpften Aal gepinselt wird. Der einzige signifikante Unterschied besteht für mich darin, dass der Dampf-Aal irre heiß auf den Tisch kommt, weil er mitsamt der Reis-Unterlage einmal so richtig im Wasserdampf hochgeheizt wird und diese Hitze dann auch lange speichert. Beim gegrillten Aal isst man ab der Halbzeit meist auch kalten Aal.

Yanagawa: Einmal durchatmen und weiter

Kurzum: Der Aal hat uns hierher geführt und dafür danke ich ihm. Nicht weil er uns exorbitant begeistert hat, sondern weil wir dadurch eine kleine Verschnaufpause einlegen mussten, in diesem verschlafenen Ort Yanagawa. Ob ich empfehlen kann hierher zu reisen? Für die Unterkunft – das Tachibana tei Ohana – kann ich sagen: Ja – wenn man auch eines der sehr schönen (aber auch sehr teuren) Zimmer bucht. Dass wir dort nächtigen durften war bei uns ja nur dem Upgrade-Glück zu verdanken. Für den Ort an sich, zum Bummeln und Staunen wie in Kyoto? Nein. Am zweiten Abend decken wir uns im lokalen Supermarkt mit Sashimi ein und kredenzen uns eine gemütliche japanische Brotzeit auf den Tatami-Matten in unserem Wohnzimmer mit Blick über den kleinen See. Ich glaube wir haben das Beste aus diesen beiden Tagen gemacht. Der nächste Stopp ist Fukuoka – zurück in die Großstadt. Und wir sich prächtig erholt vom Kilometer-Schrubben in Kyoto.

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