Winterpilze kannte ich die längste Zeit meines (bisherigen) Lebens nicht. Für mich endete die Pilzsaison mit den letzten Trompetenpfifferlingen, die spätestens der erste Frost des Jahres zunächst zu Eispilzen fror und dann als Pilzruinen zurückließ. „Pilze sollte man nach dem ersten Frost nicht mehr sammeln“ – eine Weisheit, die ich unhinterfragt übernommen hatte. Dabei ist diese Aussage nicht ganz richtig. Korrekt ist: Die meisten Herbstpilze sind nach dem ersten Frost nicht mehr genießbar und unter umständen sogar leicht giftig, wenn sich die Eiweiße im Denaturierungsprozess (Verfall) zersetzen. Was die Weisheit allerdings außer Acht lässt ist, dass eine ganze Reihe von Pilzen erst im Winter, nach dem ersten Frost, beginnt zu wachsen – und zwar an Bäumen.
Winterpilze: Erst der Frost lässt sie sprießen
Jeder Pilz hat seinen eigenen Wachstumszyklus und wartet auf bestimmte klimatische Bedingungen, die ihm signalisieren, dass die Wachstumsperiode seiner Fruchtkörper beginnt. Bei den Winterpilzen sind Temperaturen am Gefrierpunkt der Trigger, Fruchtkörper auszubilden. Der eigentliche Pilz lebt als sogenanntes Myzel in der Erde oder in einem anderen Substrat und wartet im Grunde darauf, seine Sporen in der für ihn günstigsten Zeit ausbringen zu können. Dazu drückt er seine Früchte an die Oberfläche – eben jene Pilze, die wir sammeln.
Die Vielfalt im Reich der Winterpilze ist bei weitem nicht so ausgeprägt, wie im Herbst. Dennoch lohnt es sich, auf die Suche zu gehen. Denn gerade jene Pilze, die es gerne kalt und frostig mögen, gehören zum Besten, was die Pilzwelt kulinarisch auffährt. Ich will euch hier drei meiner absoluten Lieblinge vorstellen, die ihr allesamt ab Dezember in deutschen Wäldern finden könnt. Gerade für Pilz-Einsteiger kann das eine dankbare Zeit sein, denn mit nur drei Pilzen im Visier, hat man es deutlich leichter als im Herbst, wenn Dutzende essbare Pilze und noch mehr ungenießbare Exemplare den Wald bevölkern.
Der Samtfußrübling
Den Samtfußrübling (Flammulina velutipes) kennen die meisten, ohne es zu wissen. Er steckt hinter dem Enoki-Pilz, den es in vielen asiatischen Supermärkten zu kaufen gibt – meist als weiße Pilze in Bündeln mit langen Stielen und kleinen Hüten. Der Samtfußrübling ist in China ein extrem beliebter Zuchtpilz und schon lange Teil chinesischer Heilmethoden. Daher findet man ihn in vielen asiatischen Suppen und Schmorgerichten. Nun stellt sich die Frage, warum der Samtfußrübling, den ihr hier oben auf dem Bild seht, so anders aussieht, als sein Pendant aus dem Asialaden.
Die kleinen weißen Enoki-Pilze werden unter Lichtausschluss in Flaschen gezüchtet und bilden deshalb keine Farbpigmente aus. Zudem werden sie immer jung geerntet und entsprechen mit den winzigen weißen Köpfen einer gewissen kulinarischen Ästhetik, die in Asien geschätzt wird. Lässt man den Samtfußrübling wild gedeihen, wie in den Wäldern unserer Breitengrade, dann entwickelt er eine leuchtend orange Farbe. Sein Geschmack ist mild pilzig, leicht süßlich und erinnert angenehm an ein weichgekochtes Ei. Ich finde: Ein extrem guter und besonderer Speisepilz.
Woran ihr den Samtfußrübling genau erkennt und wo ihr ihn findet, könnt ihr in unserem detaillierten Pilz-Portrait nachlesen.
Das Judasohr
Dem Judasohr (Auricularia auricula-judae) haben wir bereits vor vielen Jahren einen eigenen Artikel gewidmet, dort finden sich auch einige Rezept-Inspirationen. Es lohnt sich, im Winter die Augen nach diesem einzigartigen Pilz offen zu halten. Einzigartig machen diese Art der Winterpilze eine Reihe von Eigenschaften:
- Das Judasohr wächst fast ausschließlich an alten und verletzten Holunderbüschen bzw. an abgestorbenen und am Boden liegenden Ästen eines Holunders. Selten findet man es auch an Pappeln und Weiden.
- Seine Optik erinnert tatsächlich an ein violettes zerknautschtes Ohr und birgt dadurch in der Pilzwelt kaum Verwechslungsgefahr.
- Sein Geschmack ist relativ mild, doch die Textur ist auch nach dem Braten sehr besonders: Leicht knackig, etwas gallertartig und mit festen, angenemem Biss.
Das Judasohr hat – wie der Samtfußrübling – auch in der chinesischen Heilküche seinen festen Platz. Dort ist es als Mu-Err-Pilz bekannt. Ein Begriff, den man immer wieder auf chinesischen Speisekarten sieht.
König der Winterpilze: Der Austernseitling
Das/der beste kommt zum Schluss. Der Austernseitling gehört für mich zu den Top 3 der besten Speisepilze überhaupt, neben dem Parasol und der Krausen Glucke. Im Reich der Winterpilze ist er für mich der König. Es ist daher kein Wunder, dass er zum Standard-Pilzsortiment jedes Supermarkts gehört. Das liegt aber auch daran, dass man den Austernpilz hervorragend züchten kann. Ich habe mir zum Beispiel einen Stamm gekauft, der mit Austernseitlings-Myzel geimpft ist und Jahr für Jahr Pilze trägt.
Viel spannender ist allerdings, dass dieser Genuss-Pilz auch als Winterpilz wild in heimischen Wäldern wächst. Ich habe ihn erst eine handvoll Mal gefunden, doch das hat für eine Erkenntnis gereicht: Wilde Austernseitlinge schmecken noch einmal Welten intensiver und genialer, als die Zuchtpilze aus der Plastikpackung. Irgendwie auch beruhigend – natürliche Produkte sollten geschmacklich immer das Nonplusultra bleiben.
Austernpilze könnt ihr ab Dezember an alten Laubbäumen finden – als Winterpilze sind sie gerne von einer Haube Schnee bedeckt. Die Bäume, an denen sie wachsen, sollten schon sichtbar angeschlagen sein oder bereits modernd auf dem Boden liegen. Dann übernehmen die Pilze ihre Arbeit als Destruenten (Zersetzer) und mit etwas Glück besiedelt auch ein Austernseitlings-Myzel den Baum. Der Austenseitling ist mit seiner blau-grauen Kappe und dem seitzlich abstehenden Stiel eigentlich nicht zu verwechseln, doch es gibt einige Verwandte, die ihm ähneln. Hier sei vor allem der gelbstielige Muschelseitling hervorgehoben, den wir aktuell oft finden. Dessen Bekömmlichkeit ist allerdings umstritten – wir raten daher vom Verzehr ab. Gegen das Sammeln eines echten wilden Austernseitlings spricht aber gar nichts, sondern vieles dafür. Ihr sichert euch so eine absolute Delikatesse des Winterwaldes.
HINWEIS: Wir übernehmen keine Haftung für die Informationen in diesem Artikel. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass selbst gesammelte Pilze zu Hause genau bestimmt werden und beim leisesten Zweifel nicht konsumiert werden sollten.
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Der Austernseitling ist in der Tat der König der Winterpilze, und Ihr dritter Platz unter allen Pilzen scheint mir auch nicht unverdient. Auch wenn Sie m.E. da doch eine Menge Arten evtl. völlig unberücksichtigt gelassen haben – Täublinge, Reizker, Steinpilz?
Was mich irritiert, ist die Aussage, er gehöre zum Standardsortiment jedes Supermarkts. Ich kaufe normal bei EDEKA (Wir HERZen Lebensmittel oder so) oder ALDI ein. Und mir sind an Pilzen außer Champignons (weiß und braun, normal und riesig), Kräuterseitlingen aus Südkorea, Steinpilzen aus Belarus/Rumänien/Italien und Pfifferlingen meist aus Weißrußland, ganz selten vielleicht mal noch Shitake, noch nie andere Pilze aufgefallen. Austernseitlinge habe ich mal selbst gezogen (auf Kaffeesatz, super-erfolgreich am Anfang, bis die Schi-I-A den Ort kannte, dann war nur noch Schimmel.) Aber zum Kauf? Noch nie gesehen.
In welchen Supermarkt muß ich denn für dieses erstrebenswerte Angebot gehen?
Hallo Ronald, bei dem Artikel geht es tatsächlich primär um Pilze, die im Winter auch tatsächlich wachsen und wild gefunden werden können – Täublinge, Reizker oder Steinpilze sind hingegen Spätsommer- bis Herbstpilze die keinerlei Frost vertragen und deshalb auch im Winter nicht wachsen.
Dass du Austernseitlinge noch nie im Supermarkt gefunden hast, wundert mich allerdings schon! bei uns in der Münchner Gegend gehören sie in jedem mir bekannten Rewe, Edeka oder Bio-Supermarkt zum Standardsortiement – Shitake deutlich seltener und Pfifferlinge oder Steinpilze sowieso nur saisonal da diese Pilze nicht gezüchtet werden können.
Beste Grüße, Terese
Lieber Ronald! Sowohl im Edeka als auch im Rewe ums Eck (wir sind in München) sind die Pilze erhältlich. Wo in Deutschland wohnst du?
Liebe Grüße,
David