Dem Karpfen eilt ein zweifelhaftes Image voraus: Als Fisch, der sich gerne am Grund eines Gewässers aufhält und dort nach Nahrung sucht, erscheint auf den ersten Blick die Analogie zu einem im Schlamm wühlenden Schwein naheliegend. Und ganz falsch ist das nicht. Karpfen, die in Seen mit schlammigen Böden leben, können tatsächlich so aktiv sein, dass sie ganze Teilbereiche des Wassers bis zur Oberfläche eintrüben. Bei der Futteraufnahme (Würmer, Insektenlarven etc.) nimmt so ein Karpfen auch Sediment vom Seeboden auf, das sich mit einem muffigen Geschmack im Fleisch niederschlagen kann. Das entscheidende Wort dabei ist KANN:
Die Vielzahl in Teichen und Seen gefangener Karpfen hat dazu geführt, dass viele Menschen den Karpfen mit jenem unangenehmen Aroma verbinden, den auch andere gründelnde Fische wie Schleien oder Welse annehmen können. Bei einem Wels aus einem kleinen Waldsee habe ich es selbst schon geschmeckt – es war kein großer Genuss. In Franken sagt man, es reiche aus, den Karpfen ein paar Tage in der Badewanne in klarem Wasser ausschwimmen zu lassen. Ob das reicht, um dieses Aroma loszuwerden? Ich weiß es nicht. Jedenfalls hatte ich kein großes Verlangen danach, mich nochmal an einen Fisch vom Seegrund zu versuchen.
Dass Karpfen und Welse unangenehm schmecken KÖNNEN aber nicht zwangsläufig MÜSSEN, zeigte mir ein überraschender Fang an der Amper, einem Fluss mit steinigem Boden in Bayern. Der Angeltag hatte ohne größere Ambitionen begonnen und plötzlich hing ein Wels am Haken – ein Fisch mit 80 cm, eine perfekte Portion zum Abendessen. Der entscheidende Gedanke, der uns dazu verleitete den Wels zuzubereiten, war folgender: Wenn ein Flussboden von Steinen und Sand gesäumt ist, dürfte der Fisch eigentlich keine Schlammnote annehmen. Eine Hypothese, die sich bestätigte. Abends saßen wir zusammen und waren verblüfft, wie nah sich Wels und Heilbutt geschmacklich stehen können, wenn der Fischgeschmack ganz klar durchkommt.
Ein kulinarisches Erlebnis, das mich neugierig machte. Was beim Wels klappt, müsste doch auch auf den Karpfen zutreffen. Und Karpfen hatten wir an derselben Stelle schon gesehen. Gedacht – getan. Vier Wochen später liegt ein 5pfündiger Karpfen auf unserem Küchentresen. Einer, der seinen Alltag in einem klaren, steinigen Gewässer verlebt hatte. Zwar ist es vermutlich kein WIldkarpfen, sondern ein gezüchteter und eingesetzter Spiegelkarpfen, was aber nach einer gewissen Zeit im Gewässer keinen Unterschied mehr macht. Die große Frage: Wird das gefürchtete „mooseln“ wieder ausbleiben?
Wir filettieren den Karpfen und bereiten ihn auf zwei Arten zu: Einmal paniert und in Öl ausgebacken, in Anlehnung an die klassische Zubereitung in Franken. Einmal ganz langsam und schonend in brauner Butter auf der Haut gebraten. Dazu ein sanftes Kürbispürree und eine Beurre Blanc. Wir sitzen, genießen, schweigen und schauen uns ehrfürchtig an. Was wir im Mund erleben, hätte keiner am Tisch für möglich gehalten. Ein extrem klarer und runder Fischgeschmack, vollkommen ohne Fehltöne und mit einem überraschenden Schmelz, durch das eingelagerte Fett. Selbst die Haut, die cremig weich geworden ist – ein Hochgenuss. Dabei ist das puristisch gebratene FIlet dem gebackenen Filet überlegen. So ganz ohne unangenehme Aromen-Nuancen bleibt ein dezenter und edler Geschmack, den man mit Fett und Semmelbröseln leicht überlagert. Beim Schlammkarpfen kann das Methode sein. Dieser Flusskarpfen hat das aber nicht verdient.
Das Fazit liegt auf der Hand: Das Klischee des fetten, müffelnden Karpfens ist nicht unberechtigt. Viel Fett lagert er tatsächlich ein – und wenn dieses Fett einen unangenehmen Geschmack trägt, dann ist das kein Genuss mehr. Karpfen kann aber definitiv auch anders – wenn er aus einem Fluss oder einem Gewässer ohne Schlammboden stammt. Und dann ist der Fisch eine formidable regionale Alternative zu Forelle, Zander und Saibling, die in deutschen Gewässern nur noch schwer zu erhalten sind. Da hilft nur eines: Selbst auf die Karpfenpirsch gehen (Voraussetzung: Fischereischein) oder aber ein vertrauenswürdiger Fischhändler, der das, was ich hier mühsam empirisch erfoscht habe, eigentlich schon längst wissen sollte.
Super interessanter Artikel!
Danke! Das freut uns sehr!