Omakase ist ein Konzept, das man nicht in einem Satz erklären kann. Es hat kulturelle Wurzeln und meint ganz allgemein die höchste Form von Gastfreundschaft – als Kunst verstanden. Omakase reicht von einem Überraschungsmenü à la „Der Chefkoch entscheidet“ bis hin zur hohen Kunst, einem Gast bereits anzusehen, was seine Vorlieben sind und daraus einen ganzen Abend zu gestalten, bei dem jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird und am Ende keiner unerfüllt bleibt. Sushi-Omakase bedeutet in unserem Fall, dass es kein einsehbares Menü und entsprechend auch keine Wahlmöglichkeit gibt. Man kommt, sitzt, wartet und genießt. Der Koch gestaltet den Abend.
Diese Art von Restaurant-Erfahrung steht schon auf meiner Bucketlist, seit ich die Dokumentation „Jiro Dreams of Sushi“ gesehen habe. Ich kenne kein anderes Gericht, das Köche in eine so lange Laufbahn des Lernens verwickelt, wie Sushi. Den Grad der Perfektion, der daraus hervorgeht, interessiert mich. Damit verbunden natürlich auch die Frage: Wie schmeckt Sushi aus der Hand eines japanischen Meisters. Aus der Hand ist dabei wörtlich zu verstehen, gleich im doppelten Sinn.
Mehr Zeremonie als Dinner
Ich bin nervös, als wir auf den letzten Metern zum Restaurant sind. Die Reservierung haben wir bezeichnenderweise über das Buchungsportal „Omakase“ getätigt, schon vor Wochen. Es fühlt sich für mich nicht wie der Weg zu einem Restaurant an, sondern als gingen wir zu einer Zeremonie oder einem Ritual. Und tatsächlich finden sich Parallelen. Eine unscheinbare Holztür in einer zugehangenen Glasfassade deutet einen Eingang an. Wir stehen etwas unsicher davor, dann öffnet sich die Tür von innen und wir werden in ein winziges „Wartezimmer“ gebeten. Eine Partei nach der nächsten wird von dort aus zur Holztheke geführt, hinter der Sushi Chef Satake steht. Mit einem Nicken begrüßt er jeden Gast und bereitet letzte Zutaten vor.
Das Restaurant besteht aus einem Raum, der keine 20 Quadratmeter misst. Die hölzerne Bar teilt den Bereich des Kochs und die Plätze der Gäste – genau 10 an der Zahl. Der Service reicht dezent von hinten immer im richtigen Moment (also wenn das Glas leer ist) die Getränkekarte und ist auch sonst extrem aufmerksam. Als ich mit meiner Serviette einen kleinen Saucenfleck von meinem Platz wische, liegt binnen Sekunden eine neue da. Nach einem individuell gewählten Aperitif beginnt das Menü, das am Ende aus 18 Gängen besteht, die wir so schnell nicht vergessen werden. Die Wahl der Zutaten, die Perfektion des Sushireis, die Abgestimmtheit der Proportionen und die Schnelligkeit der Gesamt-Performance. Es ist faszinierend. Die Gänge kommen innerhalb von zwei Stunden, also etwa alle fünf Minuten ein neuer. Es ist eine irre Schlagzahl an Eindrücken, visuell wie sensorisch.
Für alle, die gerne einen detaillierten Einblick in die Speisenfolge erhalten wollen, liste ich sie hier auf.
Das Menü bei Sushi Satake
- Chawanmushi vom Schildkrötenei (Eierstich)
- Thunfisch-Tataki mit Zwiebel-Dashi Relish
- Milt (Samensack vom Dorsch) in Tempura mit Algensauce
- Dreierlei von der Snow Crab
- Seeeufelleber mit frischem Wasabi
- Dashi mit Soba (Buchweizennudeln)
- Nigiri vom Maguro (magerer Thunfisch)
- Nigiri vom Yellowtail
- Nigiri vom Stöcker (Horse Mackarel / Aji)
- Nigiri vom japanischen Jalbschnäbler (Halfbeak / Sayori)
- Gebratener Nodoguro (Blackthroat Seaperch)
- Nigiri von der gekochten Kuruma-Garnele
- Nigiri vom Small dotted gizzard shad (Gefleckter Pazifikhering)
- Nigiri vom Sepia
- Nigiri vom Otoro (fetter Thunfischbauch)
- Nigiri von der Dorade (Tai)
- Ikura, Uni und Ebi auf Reis (Lachskaviar, Seeigel und rohe Garnele)
- Nigiri von der Jakobsmuschel
- Japanisches Omlett
Fazit zum Besuch bei Sushi Satake
Die Liste der verwendeten Zutaten, speziell in den ersten fünf Gängen, könnte auf den ersten Blick anmuten wie ein wild zusammengewürfeltes Potpurri aus japanischen „Grusel-Ingredenzien“, ohne größeren kulinarischen Wert. Das meiste hätte ich vorher wohl selbst als solche „abgestempelt.“ Jetzt weiß ich: Alle haben einen ganz eigenen und beeindruckenden kulinarischen Wert. Zu den größten Entdeckungen gehören für mich die Seeteufelleber und das Shirako. Die süß eingelegte Leber weckt unweigerlich Assoziationen zu einer schmelzigen Foie Gras, ohne dabei fischig oder tranig zu sein. Das Shirako schmeckt fleischig, süßlich und ein wenig wie Kalbshirn, dabei jedoch mit deutlich mehr Mundfülle und – wie die Leber – mit schmelzigem Mundgefühl. Lediglich das Schildkrötenei im Chawanmushi hätte ich nicht von einem Geflügelei unterscheiden können, was es für mich in der Reihe der Gerichte am ehesten zu einem reinen Namedropping-Kuriosum macht. Aber ich muss gestehen: Hier kenne ich die kulturellen Hintergründe zu Japan und Schildkrötenkonsum nicht.
Die Sushi-Performance des Sushi-Meisters war mindestens so beeindruckend, wie erwartet. Die Geschwindigkeit mir der Satake seine Nigiri formt, ist bemerkenswert. Ein Griff in den noch dampfenden Reis, mit flinker Hand einen Finger des frisch geriebenen Wasabis aufgestrichen, den Fisch mit den immerselben fünf Handbewegungen fixiert. Zeit: ca. 4 Sekunden. So legt der meister ein Nigiri nach dem anderen direkt vor die Gäste und die nächste Runde startet prompt wieder an Platz 1, mit der nächsten Sorte.
Ich habe nun innerhalb und außerhalb Japans schon viel Sushi gegessen, daher muss ich klar sagen: Perfektion spielt sich am Ende der Skala nur noch im Nuancen-Bereich ab – aber in einem wahrnehmbaren. Und dieses Sushi war unbestritten das Beste, das ich bisher gegessen habe. Womöglich gibt es in Tokyo Sushimeister, die noch mehr Erfahrung haben, doch ich glaube nicht, dass sich diese Unterschiede dann noch wahrnehmen lassen. Höchstens in Sachen Fisch-Auswahl und Qualität – hier ist vermutlich immer ein „noch höher“ möglich. Wobei das keine Kritik sein soll – unser Fisch schien mir von ausgezeichneter Qualität zu sein.
Was sind die Merkmale von richtig gutem Sushi?
So einfach Sushi anmuten mag, so komplex ist die Gesamtkomposition, gerade wenn man Qualitäten bewusst vergleicht. An diesem Abend sind mir vor allem folgende Aspekte aufgefallen:
- Der Gargrad des Reis: Im Satake war er so gegart, dass keinerlei feste Stärke (Biss) mehr spürbar war, aber auch keinerlei Matschigkeit. Der Klebegrad der einzelnen Reiskörner war gerade so stark, dass die Nigiri beim Anfassen (sie werden mit der Hand gegesen) zusammenhalten, sich aber im Mund unmittelbar auflösen und mit dem Fisch vermischen.
- Die Temperatur des Reis: Der Reis im Satake ist manchmal warm, manchmal lauwarm bis hin zu zimmerwarm – je nach Fisch. Das ist ungewöhnlich, aber ich empfand es als sinnvolles Instrument, um noch präziser auf einzelne Zutaten eingehen zu können.
- Die Würze des Reis durch Süße und Säure ist spürbar und harmoniert perfekt mit Fisch, Wasabi und Sojasauce.
- Die Menge und Qualität der Sojasauce: Eine Sojasauce mit sehr wenig Salz aber sehr viel Umami kam zum Einsatz. Dabei dosiert der Sushi-Meister selbst die Menge, indem er die Sojasauce mit einem Pinsel direkt auf den Fisch streicht.
- Die Wasabi-Dosierung und Qualität: Abhängig vom Fisch wird die Dosierung des Wasabi variiert und je nach Fischart erhöht. Natürlich kommt nur frisch und vor den Augen geriebene Wasabi-Wurzel zum Einsatz.
- Fisch-Vielfalt: Statt – wie immer – Lachs, Thunfisch und Garnele, kommen vor allem heimische und saisonal verfügbare Fische auf den Nigiri zum Einsatz. Manche sind roh, andere mariniert oder gesäuert. Die aromatische und texturelle Vielfalt reicht von süßlich bis säuerlich, von knorpelig bis cremig und von sich schnell auflösend bis zu einem Geschmack, der sich erst beim Kauen langsam entfaltet.
Die Satake-Performance verstehe ich nicht als Blaupause für das perfekte Sushi. Es ist für mich einer von verschiedenen Wegen, wie sich ein Sushimeister mit extremer Hingabe der Zubereitung von Sushi widmen kann. Es ist sein Weg, den wir kennenlernen durften. Und der hat meine Sicht auf Sushi noch einmal stark verändert. Diese Benchmark für Sushi-Qualität wird lange halten. Vielleicht sogar mein ganzes Leben.