Weihnachten im Room 4 Dessert auf Bali: Es war mehr ein Zufall denn eine bewusste Entscheidung und umso beglückender. Im Flieger nach Jakarta schaute ich die Chef’s Table Folge mit Will Goldfarb, die ich irgendwann mal abgespeichert hatte. Noch während des Zwischenstopps in Dubai, versuche ich einen Tisch zu buchen – doch das Buchungssystem funktioniert nicht. Per Instagram frage ich nach einem freien Tisch, doch die Kommunikation gestaltet sich schwierig. Ich baue auf mein Glück und beschließe, es einfach ganz spontan vor Ort zu versuchen. Was dann folgt, lest ihr hier.
Der Empfang
Am späten Weihnachtsnachmittag fahren wir also auf gut Glück zum Room 4 Dessert, echte Chancen auf einen Tisch am Weihnachtsabend in Ubud rechnen wir uns nicht aus. Dann die Überraschung: In der dritten Runde ab 21:30 sei spontan noch was frei geworden. Überbordende Freude! „Don’t have dinner before“ rät uns die freundliche Reservierungsdame und antwortet auf meine Frage nach dem Dresscode: „Come comfortable but neat“. Das ist dann auch das obere Limit meines Reiserucksacks, die lange Hose kommt also doch zum EInsatz – wohl zum einzigen bei steten 35 Grad. Wenig später trudelt die launig formulierte Reservierungsbestätigung per Mail ein. Man möge davon absehen in ärmellosen Shirts mit Alkoholika-Prints zu erscheinen. Good to know!
Als wir um Punkt 21.30 mit unserer Leihvespa anrollern werden wir direkt auf Gartentour geschickt. Das gehört offenbar zum festen Bestandteil eines Abends im Room 4 Dessert. Will Goldfarb hat das gesamte Areal ums Restaurant mit hunderten unterschiedlichen Kräutern, Wurzeln, Früchten und Gemüsen bepflanzt. Allein die unterschiedlichen Basilikum-Arten sind schwer beeindruckend. Einige davon werden uns später wiederbegegnen. Aktuell – so erzählt unser Garten-Guide – sei das eher ein Schaugarten. Lediglich drei Prozent der Zutaten im Restaurant kämen aus eigenem Anbau. Das Ziel sei allerdings, diesen Anteil so bald wie möglich auf bis zu 50% auszubauen. Die Baurechte am angrenzenden Palmenhain habe man sich schon gesichert.
Die Gartentour mündet übergangslos an der Bar im Gastraum, wo zu diesem Zeitpunkt etwa acht andere Gäste sitzen. Wir gesellen uns zu ihnen und die Show beginnt.
Das Menü
Das Room 4 Dessert zelebriert, wie erwartet, die Patisserie und widmet ihr (fast) einen ganzen Abend. Was mir vor dem Besuch nicht klar war ist, dass zu den sieben Dessert-Tasting-Gängen weitere 14 Mini-Gänge kommen, die diesem Abend ein leicht episches Ausmaß verleihen. Der Prolog: Sieben dezent herzhafte Mini-Snacks, die in kurzer Folge per Hand gereicht und kurz erläutert werden. Sie gehören allesamt zur Kategorie „gleichermaßen spannend und delikat“ und heben meine Erwartungshaltung massiv an. Als wolle man beiläufig sagen: Wie können übrigenens auch Kulinarik abseits von Zucker.
Prolog im Room 4 Dessert: Sieben Snacks an der Bar
Meine Favoriten der Snacks: Ein in Panko gebackener Austernseitling, dem lakto-fermentiertes Pilzpulver eine ungeahnte Umami-Tiefe beschert. Unangefochten an der Spitze: Die „vegetarische Foie Gras“ aus Miso, Sesam und Sahne. Ich bin hin- und hergerissen, ob es den Vergleich zur Stopfleber in der Erläuterung gebraucht hätte, doch die Ähnlichkeit im Schmelz ist faszinierend. Dazu wird hausgebackene Brioche gereicht. Die Latte liegt jetzt sehr hoch. Auch erwähnenswert: Die Abwandlung einer Chai Latte in Form einer vegetarischen Brühe auf Röstkartoffelbasis mit indonesisch gewürzter Schaumhaube. Das ist alles schon sehr durchdacht und die Geschichten hinter den Mini-Bissen machen aus sieben Winzigkeiten sieben kulinarische Kuriositäten, die nachhallen.
7 Gänge Dessert-Menü
Nach den Snacks führt man uns in den Hauptraum, ein imposanter Raum mit hohen Decken, Wandgemälden und einer opulenten goldenen Bar, an der wir Platz nehmen. Der Weg dorthin führt mitten durch die Küche und hinter der Bar entlang, 20 Mitarbeiter werfen uns ein beschwingtes Hallo entgegen. Hier herrscht – und das zieht sich den gesamten Abend über durch – eine glaubwürdige gute Laune, die nicht aufgesetzt wirkt, Als ich Will Goldfarb später frage, wo er sein offenkundig talentiertes und charmantes Personal rekrutiert, erzählt er, dass kaum einer seiner Mitarbeiter einen Gastronomie-Hintergrund habe. Vielmehr sei der Job im Room 4 Dessert für viele der erste Job überhaupt. Und die Anfangsbesetzung sei immer noch an Bord. „For them it feels like home. So they want to show you their home – I think that’s it.“
„For them it feels like home. So they want to show you their home – I think that’s it.“
Das Menü in all seinen Komponenten zu erklären würde den Rahmen sprengen, daher starte ich den Versuch einer Zusammenfassung: Was ich mich von Anfang an gefragt hatte war: Kann ein reines Dessert-Menü ein annähernd „vollständiges“ Restaurant-Erlebnis erschaffen? Eines, das mich als Gast fordert und gleichzeitig glücklich macht? Und vor allem: Kann man sieben Desserts in Folge mit Genuss essen? Und beides funktioniert. Dazu ziehen Will Goldfarb und sein Team alle Register der Patissierkunst: Blätterteig, Granita, Eis, Brioche, Karamell, Meringue, handgemachte Schokolade, Creme Chantilly – um nur einige der eingesetzten Techniken zu nennen.
Von gefällig bis komplex
Die Desserts, von denen fünf einzeln serviert und zwei geteilt werden, bilden ein breites Spektrum von Zugänglichkeit ab. „Mango Puff“ zum Beispiel – ein Blätterteiggerüst, das gegrillte Mango und Frischkäsecreme umgibt – gehört zur Kategorie verständlich, wohschmeckend, schlicht und einfach unheimlich gut. Allein der karamellbraune Blätterteig ist bemerkenswert. Doch dann kommen auch Desserts, die ich erst einmal begreifen muss. Ein wenig ins Stolpern komme ich zum Bespiel bei „Na Bro“, wo eine Scheibe gegrillte Annanas (süß, saftig, intensiv) mit einer flüssigen und milden Sauce aus Kürbiskernen und sehr dezentem Eis aus Rosella-Kombucha gepaart wird. Auch jetzt noch knabbere ich an der Idee hinter der Kombination und auch ein wenig an den einzelnen Komponenten. Während ich nach dem Eigengeschmack von Kürbiskern und Kombucha suche, attackiert (und betäubt) die Ananas die Geschmacksnerven derart, dass sie alles dominiert. Diese kleine Kritik ist auch die einzige nennenswerte des Abends und soll zeigen, dass es hier nicht nur um schnöde Gefälligkeit geht. Goldfarb & Team servieren Desserts, an denen man sich reiben kann. Die braucht es auch, wenn man einen Spanngungsbogen über sieben süße Gänge halten will.
Grandios und gleichermaßen komplex ist zum Beispiel „Red“. Mit Drachenefrucht-Baiser, Rosella-Creme, fementierten roten Früchten und Wassermelonen-Granita. Ein Dessert, bei dem jede Komponente für sich fasziniert und als Kombination auf einem Löffel nochmal eine völlig neue Geschmacksdynamik entwickelt. Das Baiser ist das beste, das ich bislang gegessen habe, der Hintergrund dazu wird in der Netflix-Episode mit Will Goldfarb erklärt: Um dem kulinarischen Erbe Indonesiens gerecht zu werden, verwendet er zum Eischnee Palmzucker statt weißem Zucker, was dem Baiser einen breiten karamelligen Grundgeschmack und so viel mehr eigenen Charakter gibt, als jedes Standard-Baiser jemals erlangen könnte.
Im balinesischen Schoko-Himmel
Ein besonderes Highlight ist außerdem der finale Dessertgang: Die Chcocolate Creme Brulee mit Mangosteen Bitters. Ein Dessert, das von der Produktqualität der Zutaten und von der Tatsache lebt, dass es komplett handgearbeitet ist. Will Goldfarb bezieht den Kakao von einer Plantage im Süden von Ubud und produziert seine Schokolade selbst. Dieses Dessert hat einen so reinen und schmelzig fetten Schokoladengeschmack, dass ich trotz extrem hohem Kakaogehalt kaum Bitternoten sondern nur Schokoladen-Umami und pures Glück im Mund empfinde. Das sieht man uns offenbar an, denn wir bekommen sogar noch eine zweite Creme Brulee als Nachschlag – und das obwohl wir mittlerweile als letzte im Gastraum sitzen, da wir uns mit dem amerikanischen Kellner verquatscht haben. Der schreibt uns übrigens an diesem Abend seine Top-Empfehlungen für Ubud auf, die demnächst auch in meinem Culinary Guide to Ubud münden werden.
Im Garten: 7 Petit Fours
Es ist mittlerweile 0 Uhr und wir ziehen weiter in den traumhaften Garten, wo zum Finale des Gesamtmenüs noch sieben weitere Petit Fours gereicht werden. Und nochmal greifen Goldfarb & Team ganz tief ins Arsenal der Patissier-Techniken. Unter anderem: EIn köstlicher Marshmallow, Madeleines, ein Eis mit Rührei-Geschmack in einer Kürbiswaffel oder eine Schoko-Karamell-Praline die uns abermals in den Schoko-Himmel schießt. Dazwischen: Neutralisierer wie ein Tee aus rotem gerösteten Reis oder ein Aloe Vera Bonbon. Die schiere Bandbreite an Texturen und Darstellungsformen der Patisserie ist enorm und wird mir – um ehrlich zu sein – an diesem Abend erstmals so richtig bewusst, Ich habe diesen Posten im kulinarischen Kosmos bislang offenbar unterschätzt. Wenn der Abend allein diese Erkenntnis hervorgebracht hat, war er schon viel wert. Nebenbei war das, was wir in den knapp 4 Stunden im Room 4 Dessert erlebt haben, ein absolut prägender Restaurantbesuch, der für mich in dieser Form einmalig war.
Was war besonders im Room 4 Dessert?
Einerseits ist sicher das Konzept an sich besonders, fast einen ganzen Abend lang mit süßen Kreationen unterhalten zu wollen, was tatsächlich gelingt. Dazu tragen auch die Wechsel der Settings bei, die das Gefühl von Kurzweiligkeit verstärken. Dass wir das Room 4 Dessert so voller Wohlgefühl verlassen, liegt allerdings zu einem nicht unerheblichen Teil auch am unglaublich herzlichen Service des Teams. Ehrlich herzlich, authentisch und familiär treten die Jungs und Mädels auf. Man muss zwar manchmal genau hinhören, um ihren Erklärungen in sehr gebrochenem Englisch folgen zu können, aber sie geben alles, um ihre Botschaft rüberzubringen, notfalls mit Händen, Füßen, Stiften und immer mit ganz viel Stolz und Freude in den Augen, Will Goldfarb baut hier mit Geduld und Zuwendung junge Einheimische auf – das spürt man in jeder Sekunde. Der Mann hinter dem Room 4 Dessert bewegt sich den ganzen Abend über durch die Küche und die Gasträume, gibt ruhige und väterlich gutmütige Hinweise an seine Schützlinge und kommt mindestens zweimal zu dem Gast an den Tisch und bittet um Feedback. Dass es am Ende des Weihachtsabends noch ein Weihnachtsgeschenk mit nach Hause gibt, wäre eigentlich gar nicht erwähnenswert doch auch der Inhalt spricht für das Stilbewusstsein dieses gesamten Konstrukts: Ein Fläschchen Mangosteen-Bitters, ein Stück Palmzucker und ein Säckchen indonesische Gewürze. Das verlängert diesen großartigen Abend tatsächlich bis zurück nach Deutschland.
Der Preis fürs Menü im Room 4 Dessert
Es gibt – wie in den meisten Restaurants dieses Niveaus – nur die Option, das Tasting-Menü im gesamten zu buchen. Das kostet pro Person etwa 750.000 IDR, was etwa 50 Euro sind. Mit Getränkebegleitung kostet das ganze dann 65 Euro (ohne Alkohol) oder ca. 80 Euro (mit Alkohol). Mit Wasser und Aperitif bleibt man mit zwei Personen und dem vollen Programm also immer noch unter 200 Euro, was für das Gebotene ensationell günstig ist.