Warum Fukuoka? Warum nicht Kumamoto, Kagoshima, Beppu oder Nagasaki? Dass wir zwischen Kyoto und Okinawa noch einen Halt auf der südlichsten Hauptinsel Kyushu einlegen würden, stand schnell fest, doch die konkrete Stadt stand bis kurz vor Reisebeginn zur Debatte. Den Ausschlag gab – wieder einmal – der Food-Faktor. Ein japan-erfahrener Bekannter unterstütze uns bei der Entscheidungsfindung mit dem Satz: „Wenn’s euch ums Essen geht, dann kann es nur Fukuoka werden.“ Danke, das hilft!
Fukuoka liegt direkt am Meer, mit einer eigenen Bucht. Davon hat man als Reisender allerdings wenig, denn der Seezugang dient hier vor allem den Fähren Richtung Südkorea und der Industrie, die hier Schiffe für die Reise in alle Welt belädt. Fukuoka strahlt wenig Küstenflair aus. Stattdessen vibriert es in der selben Wuseligkeit wie Tokyo, ohne die ganz große Eleganz der Weltmetropole. Zum Vergleich: Die Stadt hat in etwa die Größe von München. Soweit die Oberflächlichkeiten, die noch nicht besonders euphorisch anmuten. Fukuoka punktet jedoch mit einer Reihe von Orten und Spezialitäten, die Reisende wie uns mehrere Tage auf Trab halten können. Und darum soll es in diesem Artikel gehen. Wir zeigen euch unsere kulinarischen Entdeckungen aus drei Tagen und Nächten in der größten Stadt auf Kyushu.
Unser Hotel – mit wunderschönem Public Bath (Onsen-Style) im Obergeschoss: Mitsui Garden Nakasu
Tonkotsu (Hakata Ramen)
Platz eins in dieser Liste kulinarischer Entdeckungen ist streng genommen keine Entdeckung, sondern vielmehr eine Reise zu den Ursprüngen einer Spezialität, die mich seit meiner ersten Japanreise fasziniert. Tonkotsu-Ramen ist eine Suppe auf Basis einer irre reichhaltigen und milchig-dichten Brühe, die durch die Extraktion von Aromen und Kollagen aus Schweinefüßen, Schwänzen und Knochen entsteht. Kommen die übrigen Ramen-Typen in Japan (Shoyu, Miso etc) zumindest halbwegs leicht und elegant daher, ist Tonkotsu ein brachiales Ungetüm, das einen mit seiner cremigen Mundfülle regelrecht überfällt – auf die gute Art.
Tonkotsu ist in Fukuoka erfunden worden – genauer im alten Teil der Stadt, der Hakata heißt. Deshalb findet man die Brühe auch unter dem Namen HakataR amen. Die Stadt ist übersät mit Ramen-ya (Ramen-Restaurants), in denen dampfende Kessel Tag und Nacht die Gelatine aus den Schweineknorpeln kochen, wo die milchige Brühe wallend den aromenbeladenen Dampf absondert, der gerade abends die Straßen füllt. Wer sich unsicher ist, folge einfach seiner Nase. In dem Moment, in dem du ein Tonkotsu-Restaurant betrittst, weißt du, dass du richtig bist.
Tonkotsu ist nichts für Menschen, die den Geschmack von Schweinefleisch nicht mögen. Gleichzeitig schmeckt die Brühe weit weniger brutal nach Schwein, als es meine Beschreibungen es vermuten lassen. Verblüffend ist vielmehr die Cremigkeit und Mundfülle, die man als Europäer von Brühen nicht kennt. Restaurants wie Ichiran Ramen, die sich voll auf Schweinebrühe spezialisiert haben, treiben die Faszination für Tonkotsu ins Extreme. Dort wählen wir in der Warteschlange unsere Präferenzen für Dimensionen wie Reichhaltigkeit der Suppe, Menge an Dashi-Basis, Gargrad der Nudeln in 6 Stufen, Knoblauch-Intensität und andere Faktoren. Sie meinen es hier ernst mit ihrer Suppe. Diese Konsequenz, mit der hier Kulinarik zu Ende gedacht wird – auch bei einfachen Dingen wie einer Brühe – ist eine der Facetten japanischer Kultur, die mir imponiert.
Restaurants, die ich für Tonkotsu empfehlen kann:
Ichiran Ramen (Tonkotsu perfektioniert)
Menchan Ramen (mehr Schwein, mehr Urigkeit, tolle Gyoza)
Motsunabe & Mizutaki
Wenn du denkst, dass Tonkotsu die wohl konsequenteste Form von ganzheitlicher Tierverwertung ist (immerhin besteht die Brühe nur aus „Abfallteilen“ wie Schwanz, Füßen und Schnauzen), dann setzt Fukuoka mit seinem zweiten kulinarischen Sohn der Stadt noch einen drauf: Motsunabe ist eine Art Fondue, bei dem in einer sehr würzigen Brühe Schweine- und Rinderinnereien gegart werden. Natürlich müssen wir das ausprobieren. Der Abend gibt mir allerdings zu denken – in verschiedenerlei Hinsicht. Ich muss dazu etwas ausholen.
Zum einen ist da das Prinzip, Innereien in einem Fondue zu garen. Ich weiß aus Erfahrung von Ochsenbacken, Tonkotsu-Brühen und anderen Experimenten, dass kollagenreiche Cuts von Rind und Schwein sehr lange brauchen, um zart und cremig zu werden. Darüber habe ich hier schonmal ausführlich geschrieben. Nun bestehen Innereien wie Magen und Lunge (Hauptbestandteile im Motsunabe) quasi zu 100% aus Kollagen (zähestem Bindegewebe). Schon bevor wir das Gericht zum ersten Mal bestellen, frage ich mich, wie diese Innereien kaubar/genießbar werden sollen – im Rahmen eines Fondues, was ja keine drei Stunden dauern wird. Mein erster Verdacht: Sie werden sicher vorgekocht/vorgeschmort und nur im Fondue nochmal erwärmt.
Wir wählen zum Essen das am besten bewertete Restaurant der Stadt: Knapp 4000 Bewertungen – 4,8 im Schnitt. Fast schon unglaublich gut – wir werden später verstehen, was dahinter steckt. Man platziert uns auf Tatami-Matten in einem recht engen Raum, wo wir im Schneidersitz auf dem Boden sitzen. Das sieht kuschelig japanisch aus, ist für mich allerdings immer ein absoluter Gemütlichkeits-Killer. Dafür kann aber das Restaurant nichts – ich sollte mich einfach regelmäßiger dehnen.
Wir bestellen den Klassiker des Hauses – Motsunabe mit Schnittknoblauch. Das ist nicht etwa ein bisschen Schnittknoblauch, sondern ein (ungelogen) 20cm hoher Berg. Der Kellner entzündet unseren Gasbrenner und wir warten darauf, dass die Brühe von unten den Berg langsam kleinköchelt. Natürlich hebe ich das Gemüse schonmal leicht an, um mir ein Bild er der Innereien zu machen. Und sie sind roh. Meine Verwunderung ist zurück.
Und es kommt, wie befürchtet: Auch nach einer halben Stunde des Köchelns sind die Kutteln, Lungen und Därme in der heißen Brühe unkaubar zäh. Man spricht bei zähem Fleisch ja gerne von einem „Fleischkaugummi“, aber das hier ist der Inbegriff dessen. Stellt euch ein Stück Knorpel im Mund vor, der einfach nicht kleiner wird, auch nach einer Minute des Kauens. Das ist ein Kaugummi. Die positive Nachricht: Die Brühe schmeckt herausragend und der Knoblauch, der nun langsam wie Spinat garzieht, spendet noch mehr Würze und Tiefe. Ich bediene mich also reichlich am Gemüse und gebe bald auch die Champon-Nudeln dazu, die eigentlich für den letzten Rest übrige Brühe am Ende gedacht sind.
Ich bin schwer irritiert. Bisher konnte ich jeder Spezialität in Japan irgendetwas abgewinnen – oder zumindest verstehen, dass man ihr etwas abgewinnen kann. Aber aus diesem Innereien-Fondue werde ich nicht schlau. Und was mich noch mehr wundert sind Tausende 5-Sterne Bewertungen. Doch zumindest das klärt sich: Eine nette Kellnerin setzt sich irgendwann zu uns und hält uns einen QR-Code hin. Sie lässt auch nicht davon ab, bis wir ihn scannen – und auf dem Google-Profil des Restaurants landen. Auch jetzt weicht sie nicht von unserer Seite und tippt förmlich für uns auf den 5. Stern (den ich später korrigiere).
Ein Teil des Rätsels ist damit gelöst. Das Rätsel um die Konsistenz der Innereien bleibt. Mögen die Japaner dieses endlose Kauerlebnis, was damit endet, dass man die Organteile dann im Ganzen schluckt? Sind wir hier einfach einem schlechten Restaurant auf den Leim gegangen? Ich weiß es bis heute nicht und freue mich auf Kommentare, falls sich fachkundige Motsunabe-Experten unter den Lesern finden. Eine zweite Chance wird es sicherlich geben. Und wie ich mittlerweile weiß, gibt es auch die entschärfte Variante des Motsunabe in Fukuoka: Mizutaki heißt sie und wird mit Hühnchenfleisch (keine Innereien) genossen.
Unser Restaurant, das ich nicht empfehlen würde, aber auch keine bessere Alternative parat habe: Motsunabe Rakutenchi Tenchin WEST
Pain Stock
Nach sehr viel Reis und Fisch zum Frühstück sehnen wir uns mittlerweile wieder nach einem klassisch westlichen Frühstück mit Brot im Zentrum des Geschehens. Dass Fukuoka uns hier gleich so ein Geschenk machen würde – damit war nicht zu rechnen. Als wir das Pain Stock in der Innenstadt am ersten Nachmittag passieren, schielen wir schon neugierig in die leergefegten Regale und nehmen uns vor, am nächsten Morgen hier früher aufzuschlagen. Das entpuppt sich allerdings als Vorhaben mit Wartezeit. Die Schlange um 9 Uhr ist knappe 20 Meter lang und wie reihen uns ein – wie schon so oft auf dieser Reise. Das hat sich bisher immer gelohnt – und das wird es auch dieses Mal.
Pain Stock ist eine französisch inspirierte Bäckerei, die es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hat durch eine unglaublich große Auswahl feiner Backwaren, sehr leicht köderbaren Menschen wie uns, völlig ihrer Selbstkontrolle zu berauben. Wie steuern durch die prall gefüllten Regale und das Tablett vor uns füllt sich immer weiter, weil alle paar Meter doch noch was kommt, was wir nicht unprobiert liegen lassen können. Zimtschnecken mit Frosting aus gereifter Butter. Kleine Früchtebrote aus Sauerteig mit Walnuss-Kastanienfüllung. Belegte Brote mit Kimchi, Fisch und weichgekochtem Ei. Und dann sind da noch die dunkel gebackenen Brötchen mit weißer Schokolade und Schwarztee im Teig. Das ganze in weiteren ca. 40 Varianten. Jedes einzelne Stück ist eine offenbarung. Saftig, krustig und fein abgestimmt. Wie sollten wir widerstehen?
Auf nicht widerstehen folgt deshalb wieder stehen – am nächsten Tag. Wir tun’s gleich zweimal, weil wir halt doch nicht alles testen konnten. An Tag zwei sehen wir dann: Es gibt lauter neue Sachen, doch für einen dritten Besuch reicht die Zeit nicht mehr. Dennoch: Diese Bäckerei wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Auch, weil wir hier in Japan mit allem gerechnet hätten – aber nicht mit dem Backwarenhimmel auf Erden.
Third Wave Kaffeekultur
Wellen, die Japan erreichen, sind seit ein paar Jahren keine gute Metapher mehr. Beim Kaffee nennt sich diese Bewegung aber nunmal „Third Wave Coffee“ und meint die Craft-Coffee Bewegung, die der Starbucks-Ära folgend eine noch handwerklichere und ausgefeiltere Auseinandersetzung mit Kaffee mit sich brachte und bringt. Fukuoka beherbergt viele kleine Kaffees, die diesem Trend folgen. Das ist zwar kein Unikum für eine Großstadt, aber die Dichte in Fukuoka ist merklich höher als in anderen japanischen Städten. Gerade beim Thema Filterkaffee kann man hier spannende Geschmackswelten erleben. Beispielhaft dafür sind:
Yanagibashi Rengo Markt
In Tokyo und Kyoto haben wir mit dem Tsukiji und dem Nishiki-Market zwei der vielleicht weltberühmtesten Food-Märkte besucht. Neben sehr viel Begeisterung, schwang dabei immer ein kleiner Wehmutstropfen mit: Beide Märkte werden zwar auch von Einheimischen besucht, sind aber voll auf Touristen ausgerichtet. Umso mehr freuen wir uns, dass wir in Fukuoka in einen authentischen kleinen Stadtteil-Markt für Fisch und Fleisch hineinstolpern. Das bedeutet: Keine Sashimi-Boxen zum Mitnehmen, keine kleinen Proben für neugierige Westler und keine Showküchen.
Stattdessen: Fische in unterschiedlichsten Formen, Farben und Größen. Früchte und Wurzeln, die wir bisher noch gar nicht zu Gesicht bekommen haben. Und Menschen der Stadt, die hier ihren Tageseinkauf erledigen und dabei in regelrecht ausgelassener Stimmung kommunizieren. In einem Land, in dem es kaum möglich ist, hinter die immer gesichtswahrende Fassade der Einheimischen zu blicken, sind das seltene Momente und Räume, in denen es sich zumindest so anfühlt, als wäre ein wenig mehr Einblick in die japanische Seele möglich, als sonst.
Ausflug zum Shiomi Park Observatory
Ein kleiner Tipp zum Schluss, für all jene, die auch mal hier stranden sollten und sich nach all den Tonkotsus und Motsunabes gerne noch etwas bewegen möchten. Ein Ausflug raus aus der Stadt ist lohnenswert – verbunden mit einer kleinen Klettertour zum Shiomi Park Obersvatory. Der Bus 21A aus der Innenstadt bringt uns ohne Umstieg auf die vorgelagerte Landzunge Shikashima, die nur durch eine aufgeschüttete Sandbank mit dem Festland verbunden ist. Von dort wandern wir gemütliche 45 Minuten hinauf zum Aussichtspunkt, der nochmal eine ganz neue Perspektive auf die Stadt liefert. Direkt am Start des Wegs entdecke ich zufällig ein Lokal, das für seine Turbanmuscheln bekannt ist – wie immer mit Schlange vor der Tür. Natürlich wollen wir dort essen – aber erst nach dem Abstieg. Ein Fehler. Als wir zurück kommen, hat der Laden geschlossen. Bitter, aber verkraftbar. Ich hoffe, dass zumindest ein Leser diesen kulinarischen Abstecher für uns machen kann und in den Kommentaren berichten wird. Sehr zu empfehlen ist das kleine Bike-Café Shikashima Cycle. Dort kann man auch Räder mieten und die kleine Halbinsel noch ausführlicher erkunden, als wir es in Ermangelung von Zeit getan haben. Außerdem machen die beiden liebenswerten Besitzer einen sehr guten Kaffee und der Aufenthaltsraum im zweiten Stock ist so gemütlich, dass wir am liebsten einfach noch eine Stunde dort geblieben wären. Wär’s nicht schon fast dunkel gewesen.
Fahrrad-Café; Shihashima Cycle
Fukuoka – lohnenswert?
Lohnt sich ein Abstecher nach Fukuoka? Für Kulinariker – definitiv, allein schon wegen der authentischen Tonkotsu-Rmaen. Wer sich vorab eine kleine Fukuoka-Bucketlist anlegt (z.B mit Hilfe dieses Artikels) und die dann konsequent abarbeitet, kann das entspannt in zwei Tagen bewältigen. Zwischendrin: Einfach durch die Stadt treiben lassen – zwischen Old Town Hakata und Fukuoka Caste – und nicht zu viel Magie und Kultur erwarten, wie in Kyoto. Stattdessen erleben wir eine eher untouristische aber quirlig-geschäftige japanische Großstadt – und das gehört genauso zum Gesamteindruck einer Reise wie die Aushängeschilder japanischer Hochkultur weiter östlich. Wer große kulturelle Bereicherung sucht, wird an anderen Orten glücklicher – so zumindest mein Gefühl.