
Da steht einer, der jahrelang Sous-Chef in einem der besten Häuser Österreichs war und drückt gewissenhaft einen Nudelteig zurecht. Einer, der sich lange zwischen tiefen Reduktionen und Sterne-Ambitionen wohlfühlte, bearbeitet inbrünstig zwei Nudelscheiben, die sich in seiner Hand zu einer Kasnudel verbinden. Es hat ihn heimgezogen, aus Wien ins beschauliche Hermagor. Manuel Ressi bei seiner Arbeit zuzusehen, ist einer der ersten Eindrücke meiner letzten Österreichreise. Und auch einer der stärksten. Denn Kasnudeln – das verstehe ich schnell – sind mehr als ein gutes Mittagessen. Und Manuel Ressi mehr als nur ein richtig guter Koch.

Beginnen wir mal bei der Kasnudel. Zwei dünne Nudelplatten, gefüllt mit Quark, Kartoffeln und Minze. Und der namensgebende Käse? Der bleibt draußen. Der Topfen (Quark) wird in Kärnten als “Kas” bezeichnet und gibt der Kasnudel ihren etwas irreführenden Namen. Zumindest für Deutsche. Für die Kärntner ist ihre Kasnudel natürlich ein unantastbar schlüssiges Konzept – da ist gar nichts irreführend. Schon gar nicht die Minze in der Fülle, bei der sich in unserer Runde die ein oder andere Augenbraue hebt. “Das ist sogar eine Spezialminze: die Kärntner Minze,” erzählt Ressi. Und ich verdächtige ihn kurz des Flunkerns. Eine kurze Recherche später bin ich schlauer: Die Kärntner Nudelminze (Mentha austriaca) gibt’s in gut sortierten Gärtnereien tatsächlich zu kaufen.
Jürg Vollmer konkretisiert hier auf Substack sogar weiter. Es handelt sich um Menthacarinthiaca = Mentha arvensis × Mentha suaveolens.

Einem Manuel Ressi das Flunkern zu unterstellen, das tut eh nur jemand, der ihn noch nicht kennt. Nach zwei Stunden in seiner kulinarischen Obhut weiß die gesamte Runde: Diesem Mann würde man blind sein Hochzeitsessen anvertrauen. Im Ernst: Was Manuel Ressi in seinem “Bärenwirt” in einem einzigen Konzept verbindet, ist eine Reise wert – obwohl solche Aufwände gemäß Michelin Definition eigentlich nur für drei Sterne unternommen werden. Manuel Ressi hat “nur” einen grünen Stern. Und das “nur” darf man hier getrost in Anführungszeichen setzen, denn für den Bärenwirt in Hermagor ist der Grüne Stern das Allergrößte und eine Auszeichnung, die passender und würdigender nicht sein könnte. Denn der Bärenwirt kann und will kein Sternerestaurant sein. Es ist ein Ort für alle – vom Stammtisch bis zum Feinschmecker. Ein zu beschreitender Grat, den fast niemand zu Ende geht. Manuel Ressi ist aus dem Steiereck in seine Heimat zurückgekehrt, um genau das zu schaffen. Und ich bin fast geneigt zu behaupten: Einen Stern zu kochen ist leichter, als diesen Spagat langfristig zu meistern.

Warum? Den meisten Orten, die versuchen, beides zu sein, misslingt mindestens eines. Entweder man verliert als Gastronom seine Basis und die Identität als “Gasthaus fürs Volk” zugunsten einer Küche voller Finesse mitsamt eines saftigen Preisanstiegs. Oder die großen Ambitionen müssen sich hinter den Wünschen der Stammkundschaft anstellen. Im Bärenwirt gibt’s wahnsinnig gute Kasnudeln, den besten Kaiserschmarrn meines bisherigen Lebens und weitere Wirtshaus-Gerichte voller Seele. Der Ort fordert die Klassiker gewissermaßen ein, mit seinem Geruch, seiner Materialität, seinen Menschen.
Und dann gibt’s da die filigrane Seite des Bärenwirts: Die “Bärenwanderung” – ein Menü, in dem sich Manuel Ressi ein wenig ausleben darf. Indem er in seine Steirereck-Vergangenheit blicken lässt, ohne dabei abzuheben. Die Bärenwanderung setzt auf starke Produkte, mit Klasse inszeniert, ohne zu überdrehen. Gekocht von einem, der sich austoben durfte und sich nun nichts mehr beweisen muss, sondern Produkte strahlen lässt. Das ist herrlich unaufgeregt und so findet sogar eine gebratene Kasnudel Platz in dieser Reise, neben Reh aus der Region, Huchen aus der Gail und anderen Schätzen der Gailtaler Natur. Die Kasnudel erdet das Fine Dining Menü und baut die Brücke in die Heimatküche. Ist das nicht schön?
Die Kärntner Kasnudeln und der Heimkehrer Manuel Ressi – auf beides ist Kärnten stolz. Und die Ressis strahlen über beide Ohren, als sie den Korb voll makellos geformter Kasnudeln aus der kleinen Küche Richtung Wirtshaus tragen. Der Kärntner Kasnudelstolz geht soweit, dass man hier einst sogar das Kasnudel-Handwerk als Heiratsvoraussetzung proklamierte. „A Dirndle, dås nit krendeln kån, kriegt kan Månn.“ Das sprach der Volksmund irgendwann mal. Zum Glück spricht an diesem Tag vor allem Manuel Ressi über Kasndueln.
Ich habe Manuel und seine Frau im Anschluss an unseren Besuch um das Rezept ihrer Kasnudeln gebeten. Hier kommt es. Am allerbesten schmeckt’s allerdings direkt auf der Holzbank im Bärenwirt in Hermagor.

Das Rezept für Kärntner Kasnudeln
Kasnudelteig
Zutaten:
- 450 Gramm Weizenmehl glatt
- 150 ml Wasser
- 1 Ei
- 35 Gramm Pflanzenöl
- Salz
Zubereitung des Teigs
Alle Zutaten zu einem homogenen Teig kneten und zugedeckt 20 Minuten ruhen lassen.
Kasnudelfülle
Zutaten:
- 500 Gramm mehlige Erdäpfel (gekocht, passiert)
- 250 Gramm Bauern-Bröseltopfen (Quark)
- 100 Gramm Zwiebel (geschält, fein geschnitten)
- 10 Gramm Knoblauch (geschält, entkeimt, fein geschnitten)
- 75 Gramm Butter
- 1 El Kerbel (fein geschnitten)
- 1 El Schnittlauch (fein geschnitten)
- 1 El Kärntner Nudelminze (getrocknet)
- 20 Gramm Distelöl
- 1 TL weißer Balsamessig
- Salz
- Muskatnuss
Zubereitung der Fülle
Die Zwiebel und den Knoblauch mit der Butter goldgelb rösten. Die Erdäpfel mit dem Topfen vorsichtig vermengen und die gerösteten Zwiebeln und Knoblauch dazu geben. Den frisch geschnittenen Kerbel und Schnittlauch, sowie die Minze dazu geben. Die Masse mit Salz, Muskatnuss, Balsamessig und Distelöl abschmecken.
Fertigstellung
Den Nudelteig mit einer Raviolimaschine 1 mm dünn ausrollen und mit einem Durchmesser von 8 cm rund ausstechen. Die Kasnudelfülle mit einem Eisportionierer auf den Teig geben und diesen zu einer Tasche zusammenklappen. Den Rand vorsichtig zusammendrücken und mit Daumen und Zeigefinger krendeln. Gut gesalzenes Wasser zum Kochen bringen. Die Kasnudel einkochen und den Topf leicht rütteln, damit die Kasnudeln nicht am Topfboden „anheiraten“ und 4 bis 5 Minuten im Wasser ziehen lassen. Die Kasnudeln mit einem Lochschöpfer aus dem Wasser holen und gut abtropfen lassen. Mit Nussbutter (geröstete Butter) anrichten und genießen.
Unser Tipp: Geröstete Kasnudel
Weil das Röstaroma die Kasnudel noch schmackhafter macht, braten wir die Kasnudel im Bärenwirt an. Dazu halbieren wir die Kasnudel der Länge nach und braten diese auf der Schnittfläche in einer Pfanne mit wenig Pflanzenöl goldgelb an. Gemeinsam mit grünem oder Krautsalat und etwas Nussbutter angerichtet, schmeckt das einfach köstlich. Mahlzeit!