Hecht, Blaubeeren & Flussminze: Mit dem SUP auf schwedischen Seen

Es ist besonders ein Moment, der nachhallt: Wir sitzen an einem steil aufragenden Fels-Ufer, unsere SUPs nur notdürftig auf die Böschung geschoben, denn es ist hektisch. Vor mir liegt ein Hecht, etwa 65 Zentimeter lang. Er zuckt noch, obwohl ich ihn bereits ausgenommen habe. Wenige Minuten zuvor habe ich ihn selbst geangelt, 20 Meter vom Ufer entfernt, auf meinem aufblasbaren Untersatz stehend. Und jetzt will ich diesen einen Punkt meiner Bucket-List endlich abhaken: In Schweden einen Hecht fangen und sofort zubereiten. Rückblickend fühlt sich das alles ziemlich episch an, doch in dieser Sekunde fühle ich vor allem Schleim und Blut an meinen Händen und Zittern in den Knien. 10 Minuten später liegt der Hecht filettiert im kleinen Campingkocher-Topf, umschäumt von brauner Butter.

Von dieser Reise habe ich lange geträumt habe: Mit dem SUP über schwedische Seen gleiten, dabei Angeln, Beeren und Kräuter sammeln und Wildcampen. Und eben diesen Hecht fangen und verspeisen. So hatte ich es mir ausgemalt. Und so kitschig-klischeehaft es vielleicht klingt – dieser Schwedentraum ist tatsächlich genau so erlebbar. Inklusive Hecht. Bei meinen Vorbereitungen zur Reise hatte ich mir diesen einen Moment immer wieder vorgestellt und mich gefragt, was ich – sollte dieser Fang gelingen – am dringendsten brauchen werde. Salz & gute Butter war die logische Antwort auf diese Frage. Wenn ich schon den frischesten Fisch der Welt braten werde, dann wird er auch in Butter schwimmen.

Ausgangspunkt für den Trip ist der Flughafen Stockholm, dort mieten wir uns einen Wagen. Etwa zwei Stunden nordwestlich von Stockholm liegt unser Ziel, der Nationalpark Färnebofjärden. Dort meäandert der Fluss Dalälven in einer Art Seenlandschaft in Richtung Meer. Genau dort wollen wir unsere Stand-Up Paddleboards aufs Wasser lassen, bepackt mit Wetbags, die Zelt, Isomatten, Vorräte und Angel-Equipment vor Feuchtigkeit schützen. Bevor wir aufs Wasser gehen, statten wir uns im schwedischen Supermarkt mit dem Allernötigsten aus. Knäckebrot, Käse, Butter, Honig, Müsliriegel und diverse andere Utensilien, die notfalls auch nach 10 Tagen auf dem Wasser noch genießbar wären. Dass man in Schweden braune Butter (Nussbuter) direkt zum Aufstreichen aus der Dose kaufen kann, beflügelt meine Euphorie. Butter zum Hecht war mir wichtig. Braune Butter zum Hecht ist noch eine Nummer besser.

Wir übernachten in Östa, einem winzigen Ort mit einem gepflegten Campingplatz (Östa-Camping) direkt am Dalälven-Flusstal. Das ist unser Einstiegsort für die Tour am nächsten Morgen, von der wir noch nicht wissen, wohin sie uns führen wird. Die Idee: Einfach querfeldein paddeln und gegen Abend die nächstgelegene Insel im Flusstal als Übernachtungsquartier ansteuern. Und so beginnt am nächsten Tag gegen 8 Uhr ein für mich denkwürdiger Trip. Obwohl der Dalälven genau genommen ein Fluss ist, hat er im Bereich des Färnebofjärden- Nationalparks quasi keine Strömung, sondern verästelt sich in eine Art Seen-System. Das einzige, was uns hin und wieder zu schaffen macht, ist der Wind, der sich unseren Körpern auf den SUPs gleich zu Beginn der Reise entgegenstellt und das Wasser so aufschaukelt, dass wir uns erst einmal an den Wellengang gewöhnen müssen. Unser Untersatz ist perfekt bei ruhigem Wasser, bei Wellen braucht es ein gutes Balancegefühl.

Was ist ein SUP?

Bevor’s richtig losgeht noch ein kurzer Exkurs zu unserem Reisemittel der Wahl: Ich habe das Stand-Up-Paddlen lange belächelt und irgendwann festgestellt, wie lächerlich das von mir ist. Mit dem SUP (Stand Up Paddleboard) kommt man leichter aufs Wasser als mit jedem anderen Gefährt, man ist maximal flexibel und manövrierfähig. Spätestens seit meinem Angelschein habe ich begriffen, wie sinnvoll es sein kann, mal schnell in eine Ecke zu kommen, wo sonst sonst niemand hin kommt. Das ist hilfreich beim Fischen und beim Entspannen.

Ein SUP ist ein aufblasbares Brett, auf dem man mit etwas Balancegefühl stehen kann. Mit einem Paddel schiebt man sich und sein Brett gemächlich vorwärts. Es ist leicht verstaubar, bietet im aufgeblasenen Zustand Platz für ein paar Gepäckstücke und ist somit der perfekte Untersatz für eine Schweden-Reise auf Wasser, bei der man nicht den ganzen Tag im Kayak sitzen will. Mein SUP hat zudem ein paar Angel-Features (anschnallbare Kühlbox, Sitz, Rutenhalter), sodass man es auch als mobile Angelstation benutzen kann. Das ist der Hammer!

Der erste Flussbarsch

Als sich der Wind langsam beruhigt, beginnt jener Teil der Reise, den ich so mit Vorfreude ewartet habe. Wir gleiten durch flache Schilfbereiche, zwischen Felsen hindurch, an Wäldern vorbei und hoppen von Insel zu Insel. Mittags werfe ich zum ersten mal die Angel aus und habe nach wenigen Würfen einen schönen Flussbarsch am Haken. Ein formidables Mittagessen, auch wenn’s noch ein Knäckebrot dazu braucht, um die Kraftreserven für den Nachmittag aufzufüllen. Es ist mein erster Flussbarsch und ich bin begeistert vom dem festen, weißen Fleisch, auch wenn sich der Großteil meiner überbordenden Freude in diesem Moment daraus speist, dass ich vorher in Deutschland quasi noch nie einen Fisch gefangen habe. Es ist meine erste Angelsaison. „Wenn du in Schweden nichts fängst, kannst dus gleich lassen“ haben sie gesagt. Ich stand unter Druck. Und jetzt: Der Durchbruch!

Als wir vom Mittagsrastplatz ablegen, hat sich der Wind für eine Weile komplett gelegt und plötzlich nehmen unsere SUPs richtig Tempo auf. Tempo in SUP-Maßsstäben bedeutet 4-5 km/h. So paddeln wir gemütlich zur nächsten Insel, die mitten im See liegt, der ja eigentlich ein Fluss ist. Etwa drei Kilometer pures Gleiten. Als wir aus dem Windschatten des Waldes rechts von uns aufs offene Wasser hinaus steuern, kräuselt sich der See vor uns plötzlich wieder bedrohlich und wir müssen die letzten 500 Meter zur Insel mit aller Kraft gegen den Wind drücken. Auch das gehört dazu und sorgt dafür, dass wir jene Insel auch zu unserem Nachtdomizil erklären. Wir erkunden das winzige Eiland und laufen in fünf Minuten einmal drumrum. Niemand da, nur wir und eine kleine aufziehende Regenfront.

Campen auf einem Moosbett

Wir beschließen, unser Zelt mitten im Wald aufzuschlagen, auf einem Teppich aus Moos, den wir vorher von Hunderten winzigen Tannenzapfen befreien. Unsere geschundenen Leiber wollen sanft gebettet werden. Zum Einschlafen filtern wir uns etwas Seewasser und brühen es mit Flussminze auf, die am Ufer unten wächst. Bevor der Regen kommt, beschert uns der Himmel noch einen Sonnentuntergang zum Niederknien, sodass ich sogar nochmal die Angel auspacke und ein paar Würfe mache. Außer viel Kraut und einem großen Stein ziehe ich an diesem Abend aber nichts an Land. Das ist aber auch völlig egal, die Szenerie alleine ist überwältigend. Wilde Minze im Becher und Knäckebrot mit Käse toppen in dieser Umgebung jedes Edel-Dinner. Gegen Mitternacht wachen wir auf, es beginnt zu regnen. Allein auf dieser Insel ist das irgendwie bedrückend und gleichzeitig ein wohliges Gefühl, auf dem Moosbett zu liegen und einfach nur der Naturgewalt zu lauschen. Und es regnet 6 Stunden durch, doch das Zelt bleibt trocken. Und am nächsten Morgen scheint die Sonne durch die Äste vor unserem Zelt. Perfektes Timing.

Von unserem ersten wilden Refugium aus sehen wir in der Ferne schon unser nächstes Ziel. Ein freundlicher Camper hatte uns bereits beim Ablegen die kleine Sandinsel „Sandön“ ans Herz gelegt. Die liegt nun vor uns. Wir wickeln das nasse Zelt ein; es kann später trocknen. Die wenigen Sachen, die wir dabei haben, sind innerhalb von 15 Minuten wieder auf den Brettern verstaut und wir setzen unsere Paddel ins Wasser. Beflügelt vom Flussbarsch des Vortages, habe ich an diesem Tag ein gutes Hecht-Gefühl. Und keine Stunde später passiert es.

Mein erster Hecht

Kurz vor dem steilen Ufer einer bewaldeten Insel sehe ich im Wasser viel Aktivität – ein Zeichen dafür, dass ein Hecht gerade jagt. Ich erspähe kleine Fische, die aus dem Wasser springen und werfe die Stelle gezielt an. Zack! Ein Biss, doch es ist nur ein kleiner Barsch. Ich werfe meinen kleinen Spinner nochmal an die selbe Stelle und sofort spüre ich Wiederstand. Dass das kein Barsch mehr sein kann, spüre ich sofort. Der Fisch springt kurz aus dem Wasser, ich glaube zuerst an eine (seltene) Forelle. Dann sehe ich den Hecht. Ich habe für mich vorab ein „Entnahme-Fenster“ definiert. Zwischen 65 und 80 Zentimeter darf er sein, dann werde ich ihn essen. Der Fisch passt genau.

Es folgt das wohl epischste Camping-Mahl, das man sich vorstellen kann. Wir suchen uns eine einigermaßen stabile Stelle am felsigen Ufer und ich filettiere meinen ersten Hecht. Vorsorglich habe ich mir ein YouTube Video offline abgespeichert. Das hilft massiv. Auf dem Campingkocher schmilzt bereits die Butter und wie in Trance lege ich die kleinen Filet-Happen in den Topf auf der Flamme. Natürlich muss ich auch ein Stück Hecht als Sashimi probieren. So frisch, so intensiv, so aufregend ist das. Wir genießen den Hecht als hätten wir ihn gerade für 300 Euro beim Feinkosthändler gekauft. Nein, das ist untertrieben. Es ist das Jäger-und-Sammler-Gefühl in seiner extremsten Form. Und das wird uns in den kommenden Tagen immer wieder begegenen.

Sandön – ein traumhafter Fleck

Die kleine Insel (ich habe sie auf Google Maps markiert), die uns so angepriesen wurde, entpuppt sich als Paradies für Selbstversorger. Sie ist überwuchert von Blaubeeren, nahezu menschenleer und an fünf Stellen am Strand sind kleine Feuerstellen samt Brennholzlager eingerichtet. Die perfekte Mischung aus wildem Campen mit gewissen Annehmlichkeiten. Nach ein paar Stunden entdecken wir sogar ein Plumpsklo im Wald. Wir beschließen erstmal zu bleiben und die Insel zu erkunden. Und aus diesem Entschluss werden drei Tage, die wir rund um Sandön verbringen. Wir umrunden die Insel mehrfach mit unseren SUPs, sammeln ein Kilo Blaubeeren und kochen auf der Feuerstelle Blaubeermarmelade und Minztee. Wir fangen viele Barsche, die wir abends grillen. Und: Wir finden (nicht geschützte) Schwan-Muscheln, die wir kochen und sofort wieder ausspucken, weil sie entsetzlich schmecken. Auch das ist eine Erfahrung, an die ich (mittlerweile) gerne zurückdenke.

Es ist die pure Entschleunigung, der Drang aufs Handy zu schauen verschwindet komplett. Abends geht die Sonne vor dem Zelt unter und was bleibt ist die Tonspur der Brandung. Wir waschen uns morgens einmal kurz im Wasser und liegen stundenlang in unseren Hängematten und starren in die schwedische Natur. Dazu Knäckebrot mit brauner Butter und selbst gekochtem Blaubeerkompott, mit Honig gesüßt. Erkunden, paddeln, auf Bäume klettern, sammeln, kochen, grillen und in der Hängematte baumeln. Mehr Erholung ist für mich nicht denkbar.

Irgendwann checken wir dann doch mal unsere Handys, um eine Wetterprognose abzurufen. Regen und Wind kündigen sich an und zu allem Überfluss versenke ich meine Angel an einem windigen Nachmittag in den Wellen. Wir beschließen, nach fünf Tagen auf dem Wasser, wieder ans Land zurückzupaddeln. Und das geht schnell, denn dieses mal haben wir Rückenwind. Der lässt uns mehr als doppelt so schnell übers Wasser gleiten. Gerade rechtzeitig erreichen wir unseren Anleger. Als wir im Auto sitzen, beginnt es zu regnen. Es klingt wie geskriptet, wir hatten einfach riesiges Glück. Doch ich wage zu behaupten: Selbst mit Regenschauern hätte ich es auf dieser kleinen Insel im Dalälven-Flusstal problemlos noch ein paar Tage ausgehalten.

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